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Treuepunkte

Treuepunkte

Titel: Treuepunkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Fröhlich
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gemacht oder warum konnte die gleich wieder gehen? Ich meine, so alte Leute, das kann schnell gehen«, sagt sie mit viel Pathos in der Stimme. »Anita, ich habe sie schon gesprochen, es ist alles gut. Sie haben sie behandelt und Christoph hat alles angemessen überwacht, ich meine, mein Mann ist Jurist, der schaut schon genau hin«, beschließe ich meine kleine Lügengeschichte.
    Ich will gar nicht wissen, wohin Christoph heute Nacht genau geschaut hat. Allein bei dem Gedanken erschaudere ich. Aber immerhin – Münchhausen hätte seine Freude an mir. Ich kann besser lügen, als ich gedacht habe. Wenn man einmal anfängt, flutscht es nur so. Das Schöne ist, je
mehr man ins Detail geht, umso mehr fängt man an, seinen eigenen Schwachsinn zu glauben. Ich muss dringend daran denken, dass (falls Christoph und ich uns je wieder versöhnen) ich ihm sage, dass seine Mutter an Thrombose leidet. Seit heute Nacht. An der so genannten akuten Kurzzeitthrombose. Ich wende mich Anitas Beckenboden zu, und da Anita über nichts lieber spricht als sich selbst oder wenigstens ihren Mann Friedhelm (übrigens einer der größten Langweiler, den ich je getroffen habe), schaffen wir den Sprung von der vermeintlichen Thrombose zum Beckenboden. Anita führt mir noch schnell zwei Übungen vor, die ich unbedingt auch täglich machen soll. Zur Prophylaxe. Dazu rollt sie sich über unser Parkett (das ehrlich gesagt nur Laminat ist, aber bisher hat es keiner gemerkt!) und atmet sehr laut. Ich beteure, dass es meinem Beckenboden, meinem Wissen nach, prima geht, aber das lässt Anita nicht gelten: »So war es bei mir auch und auf einmal musste ich nachts raus. Mein Gynäkologe hat gleich geahnt, wo das Problem liegt. Er hat mir erklärt, dass das fast alle kriegen. Du musst dich vorsehen.« Sie wiederholt die Übung, schnauft, als wäre sie in der Entbindungsendphase, und hört erst auf, als ich alles nachmache und schwöre, ab heute Abend regelmäßig zu turnen, um vorzubeugen. Obwohl ich, ehrlich gesagt, neben Anitas Beckenboden noch eine andere Ursache für ihre nächtliche Bettflucht nennen könnte. Ich meine, mit einem Friedhelm im Bett wäre ich auch froh, mal raus zu müssen. Anita jedoch ist zufrieden, hat ihre Beckenbodenmission erfüllt und geht.
    Aus dem Küchenfenster kann ich sehen, wie sie bei Tamara klingelt. Die Stille-Reihenhaus-Post nimmt ihren
Lauf. Das Ende vom Lied: Tamara steht vierzig Minuten später vor meiner Tür und erkundigt sich ganz beiläufig nach Thrombose-Inge. Auch das noch! Ich lüge munter weiter und obwohl Tamara wesentlich vertrauenswürdiger ist als Anita, komme ich jetzt aus dem Lügenschlamassel nicht mehr raus. Wenn schon lügen, dann wenigstens standhaft bleiben. Irgendwie werde ich meiner Schwiegermutter Inge schon noch beibringen, dass sie seit heute Nacht ein Thromboseproblem hat. Schließlich sitten Inge und Rudi häufig unsere Kinder und wenn Tamara oder Anita da mal ihren Weg kreuzen, wäre es doch verdammt peinlich, wenn Inge völlig ratlos vor ihnen stünde: »Was för ’ne Thrombose meine Sie denn?« Auweia, so schnell hat, weiß Gott, noch niemand Thrombose bekommen.
    Tamara hat zum Glück nur wenig Zeit und detaillierte Fragen bleiben mir deswegen erspart. Bevor sie geht, drückt sie mir noch ein paar recht unansehnliche hautfarbene Strumpfhosen in die Hand: »Für deine Schwiegermutter. Das sind Thrombosestrümpfe. Die hab ich noch von meiner Entbindung. Liebe Grüße und gute Besserung. Man darf so eine Thrombose keinesfalls auf die leichte Schulter nehmen. Aber das weißt du ja sicher.« Ich bedanke mich, allerdings eher verhalten. Ich meine, gebrauchte Strümpfe zu verschenken, dazu gehört schon Mumm, und dass sie die Strümpfe noch von ihrer Entbindung hat, schockt mich auch ein wenig. Schließlich ist Tamara Mutter eines knapp zehnjährigen Schulkindes. Manche Menschen haben wirklich einen Trieb, alles zu horten. Ich dachte immer, ich sei eine Sammelliese, aber das toppt ja nun alles. Auf jeden Fall bewundernswert, wie schnell sie die Dinger gefunden hat.
    Ich räume das derangierte Wohnzimmer noch etwas auf, drücke zum fünften Mal an diesem Tag auf dem Anrufbeantworter rum, suche auf meinem Handy nach neuen SMS und bleibe erfolglos. Keine Nachricht. Nirgends. Und das, obwohl ich eindeutig besten Empfang habe und mein Akku komplett geladen ist. Gerade Frauen neigen ja dazu, eher an der Technik als an ihrem Mann zu zweifeln. Hier ist der Fall klar: kein Anruf, keine SMS . Was kann

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