Tribunal
zu klauen«, ereiferte sie sich.
»Ich werde mich von Löffke trennen und die Kanzlei verlassen«, entschied Stephan, als er den Artikel gelesen und die Zeitung zur Seite gelegt hatte. »Ich ertrage die Löffkes und Frodeleits dieser Welt nicht mehr. Komm morgen mit in die Kanzlei! Wir ziehen einen Schlussstrich.«
»Und dann?« Sie sah ihn fragend an. In diesem Moment wirkte sie seltsam zögerlich.
Sie hatten noch nie wirklich darüber nachgedacht, was er nach seinem Ausscheiden aus der Kanzlei machen könnte. Nachdem die Wahl auf das Jurastudium gefallen war, waren viele Interessen auf der Strecke geblieben, die er während der Schulzeit gepflegt hatte.
Marie lächelte. »Kunst zum Beispiel?«
»Brotlose Kunst«, gab er zurück. »Der bloße Spaß daran führt noch nicht zum Erfolg. Ein Beruf ohne Streiten jedenfalls. Wie krank muss man sein, als friedliebender Mensch einen Beruf zu wählen, in dem man sich ständig streiten muss? Wie konnte ich überhaupt nur Anwalt werden, Marie?«
»Das ist wahrscheinlich ein kompliziertes Thema.« Sie öffnete eine Flasche Wein. »Wohnzimmer oder Schlafzimmer? Manchmal muss man sich wegträumen …«
Sie hatte dieses Wort lange nicht mehr benutzt. Sie wählte es mit Bedacht und nur dann, wenn etwas Reales unlösbar erschien und sich der Verstand daran aufrieb. Das Wegträumen bewahrte vor der Zermürbung, sorgte für die Konzentration auf das eigentlich Wesentliche und erdrückte das Bedrückende. Das Wegträumen führte zu der Insel, auf die sie sich zurückziehen konnten. Stephan holte Gläser und brachte sie ins Schlafzimmer.
20.
Am anderen Morgen begleitete ihn Marie in die Kanzlei. Der schon hundertfach mit dem Auto gefahrene Weg von der Brunnenstraße zum noblen Kanzleigebäude in der Prinz-Friedrich-Karl-Straße wirkte merkwürdig unvertraut. Der Gedanke, diesen Weg zum letzten Mal zu fahren, lenkte die Aufmerksamkeit auf Details, die Stephan sonst nie beachtet hatte. Sie hatten in den Morgenstunden darüber beraten, ob er seinen Entschluss wirklich von jetzt auf gleich umsetzen sollte. Wer sollte die Mandate weiterbearbeiten, die er begonnen hatte und in denen der Mandant erwartete, dass er ihn weiterhin persönlich begleiten würde? Marie und Stephan kamen zu dem Schluss, dass auf all diese Aspekte nicht mehr Rücksicht genommen werden konnte.
Sie parkten an der Hinterfront des Kanzleigebäudes. Sie hatten kaum das Gebäude betreten, da fing sie Hubert Löffke bereits im Erdgeschossflur ab.
»Ich warte schon lange auf Sie, Kollege Knobel!« Er knetete nervös die Hände. »Sie kommen doch sonst schon gegen halb neun«, sagte er vorwurfslos. Er war sichtlich erleichtert, Knobel zu sehen. »Kommen Sie rein! – Kommen Sie bitte beide in mein Büro!« Er begrüßte auch Marie. Er war unbeholfen herzlich.
Zu ihrer Überraschung saß Dörthe in Löffkes Büro an dem kleinen Besprechungstisch. Sie hatte sich fein herausgeputzt und trug ein Kostüm, das sie älter und vor allem strenger machte.
»Setzen Sie sich zu uns, Frau Schwarz, Herr Knobel!«, begrüßte sie die beiden. »Ich freue mich so sehr, dass Sie da sind! Es ist eine wichtige Sache zu klären, die keinen Aufschub duldet.«
Sie legte eine kleine Mappe auf den Tisch, die sie bis jetzt auf ihrem Schoß gehalten hatte. Es war die Mappe, die Löffke gestern Abend in Händen hielt.
»Hubert, los!«
Stephan wunderte sich, wie sie zu dirigieren vermochte. Nichts erinnerte an die schwitzende, japsende Dörthe, die sich durch die unterirdischen Bunkeranlagen quälte.
Sie setzten sich und Hubert Löffkes unsicherer Blick auf seine Frau ließ diese sofort wieder die Initiative ergreifen. »Ihnen beiden ist bitteres Unrecht widerfahren«, eröffnete sie und vergewisserte sich mit einem flüchtigen Blick, ob ihr Mann diese Feststellung mit einer Geste zu relativieren versuchte. Doch Hubert saß nur mit hochrotem Kopf still da.
»Sie dürfen davon ausgehen, dass ich über die gestrigen Dinge im Bilde bin. Mein Mann hat mir heute Nacht alles erzählt. Er wird Ihnen jetzt die gefertigten Protokolle über die vermeintlichen Beratungsgespräche geben, dazu auch die CDs, auf denen sie gespeichert sind. Diese Dinge sind dann ein für alle Mal weg. Sie können mit den Unterlagen machen, was Sie wollen; am besten vernichten Sie sie. Das Gleiche gilt für die Fotos von der Villa Stein in Syburg in den dazugehörigen Datenträgern. Mein Mann hat gestern Abend noch ein Protokoll über die Zusammenkunft im Hause
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