Trieb: Paul Kalkbrenner ermittelt. Bd. 3 (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
Männer allesamt und Berserker vor dem Herrn, die im Angesichts des Todes von Schock, Schmerz und Trauer überwältigt wurden. Viele von ihnen waren Familienväter, die in so einer Situation nur ein Gedanke beherrschte:
Wenn ich mir vorstelle
,
dass meinem Kind so etwas passieren würde …
Um von der Grausamkeit nicht verzehrt zu werden, griffen sie zu den unterschiedlichsten Mitteln. Manche schimpften auf die Eltern, die ihr Kind vernachlässigt hatten, manche auf die Presse, die ihnen stets Versagen vorwarf. Einige sprachen den Namen des toten Kindes nicht mehr aus, aus ihm wurde schlicht und einfach das Opfer
.
Andere knieten sich in die Arbeit, schauten nicht mehr nach links oder rechts und vergaßen alles außer dem Mörder, dem großen Unbekannten, der seine gerechte Strafe erhalten musste. Dabei kam es dann nicht selten vor, dass sie ihre eigene Familie, ihre Frauen, Töchter und Söhne vernachlässigten. Es war ein Teufelskreis, und nicht wenige Ehen scheiterten daran.
Es ist das
,
was ich am besten kann. Mörder finden. Sie fangen.
»Es ist also denkbar, dass der Junge vom Alexanderplatz nach Schmargendorf gefahren ist?«, fragte Kalkbrenner nach Minuten des Schweigens.
»Möglicherweise«, entgegnete Veckenstedt. »Allerdings hat die Auswertung der Videos umliegender S- und U-Bahn-Stationen keinen Aufschluss darüber gebracht. Und auch die Anwohner, die wir bislang vernommen haben, haben den Jungen nicht gesehen. Es kann also auch sein, dass Manuel mit jemandem im Auto mitgefahren ist. Eventuell kennt er jemanden aus Schmargendorf. Hat die Familie hier Verwandte oder Bekannte? Was sagt die Mutter?«
»Anna Benson hat einen Schock erlitten. Sie ist derzeit nicht vernehmungsfähig.«
»Vielleicht gibt es aber auch überhaupt keinen Bezug zwischen Schmargendorf und dem Jungen beziehungsweise seiner Familie«, meldete sich erstmals Robert Babicz zu Wort. »Es könnte auch sein, dass Manuels Mörder den Stadtteil, das Industriegebiet und den Park nur deshalb zur Entsorgung der Leiche ausgewählt hat, weil hier am Wochenende nachts die Gefahr von Zeugen gleich null ist.«
»Das könnte dann heißen, dass der Mörder die Gegend gut kennt«, überlegte Veckenstedt.
»Oder dass er von hier kommt«, ergänzte Muth.
»Ja, das alles ist denkbar«, stimmte Dr. Babicz zu, »aber vorstellbar ist auch folgendes Szenario: Der Mörder hat die Leiche in diesem
Park hier entsorgt, weil er den Verdacht auf die Anwohner lenken wollte. Dann liegt es nahe, dass er selbst aus einem ganz anderen Stadtteil stammt oder womöglich nur auf der Durchreise war. Es könnte auch ein Tourist gewesen sein, der sich einen kleinen Jungen geschnappt hat. Und heute ist der Typ schon wieder in Polen, Spanien oder Neuseeland.«
Was das für ihre Arbeit bedeuten würde, wurde den anwesenden Ermittlern schnell klar. In diesem Fall war der Mörder über alle Berge, und die Suche nach ihm würde im Sande verlaufen.
Der Psychologe räusperte sich. »Es gibt aber noch eine weitere Option, die ich nicht ausschließen möchte.« Er wies auf eine verkleinerte Berlin-Karte. »Beachten Sie bitte, dass wir uns nur unweit vom Stadtrand entfernt befinden. Nur zwei Kilometer weiter, und der Täter hätte die Leiche im Grunewaldsee inmitten einer großen Waldfläche entsorgen können. Das wäre um ein Vielfaches sicherer gewesen. Gerade nachts und bei diesem Wetter wäre das noch weniger risikoreich geworden. Außerdem wäre der Leichnam, hätte er ihn im Grunewaldsee versenkt, viel später entdeckt worden. Mit etwas Glück für ihn sogar nie.«
»Dann wäre der Mörder entweder strohdumm …«, begann Hansen.
»Nein, davon können wir nicht ausgehen«, widersprach Kalkbrenner. »Dann wäre er nachlässiger gewesen und hätte schon längst irgendwelche Spuren hinterlassen.«
»… oder aber er wollte, dass wir die Leiche finden«, beendete Muth Hansens Satz.
»Wieso sollte er das gewollt haben?«, fragte Kalkbrenner in die Runde.
»Gute Frage«, befand Babicz.
»Und wie ist Ihre Antwort darauf?«
»Für den Augenblick habe ich keine.«
Ernüchtert wandte sich Kalkbrenner dem Foto an der Pinnwand zu, das den fröhlich lachenden Manuel in seinen Kleidern zeigte. Die Leiche in der Charité war nackt gewesen. »Hatte der Junge noch seine Klamotten an, als man ihn gefunden hat?«
»Nein, keine Kleidung«, sagte Veckenstedt. »Und noch mal nein, auch im Park haben wir nichts gefunden. Nach Aussagen der Eltern trug er eine Daunenjacke, einen
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