Trieb: Paul Kalkbrenner ermittelt. Bd. 3 (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
darin mit seiner Mutter eine Hose oder Schuhe für Mickael zu kaufen. Er selbst hatte niemals etwas anprobieren dürfen, weil er die alten Klamotten seines Bruders auftrug.
Allerdings verspürte er noch weniger Lust, wieder alleine durch die Stadt zu streifen. Schließlich hatte er nicht einmal eine Unterkunft für die kommende Nacht, ganz abgesehen davon, dass er sich von seinem verdienten Geld auch keine hätte leisten können. Er hoffte darauf, dass Aidan ihm später anbieten würde, ihn zu begleiten, wohin auch immer. Aidan war schon seit einem Jahr in Berlin, da war es wahrscheinlich, dass er an einem warmen Platz die Nacht verbrachte.
Lustlos folgte Tabori seinem neuen Freund in das Kaufhaus. Direkt am Eingang standen riesige, flache Fernseher dicht neben- und übereinander. Ihre Bilder waren klar und deutlich, nicht so verschwommen und flackernd wie die der Holzkiste in der Kneipe von Gracen. Gleich daneben waren Radios aufgereiht. Auch ihre Auswahl war enorm. Dennoch entschied sich Tabori auf Anhieb für das kleinste ausgestellte Gerät, das mit seinen zwei Lautsprechern, drei Knöpfen und der großen Antenne trotzdem noch deutlich größer als das blöde Radio war, das daheim fast nie funktioniert hatte. Ganz sicher würde es ausreichen, um die Hitparade von
Top Channel
aus Tirana zu empfangen. Ja, das würde Tabori sich kaufen, sobald er genug Geld besaß. Er würde es seiner Mutter mitbringen und dann gemeinsam mit ihr und Mickael im Wohnzimmer Musik hören.
»Jetzt beeil dich!« Aidan scheuchte ihn durch Regalreihen mit Kühlschränken, Waschmaschinen und anderen technischen Wundergeräten. Bei den Ablagen voller CDs hielten sie sich länger auf. Die meisten Musiker und Bands waren Tabori unbekannt, aber dann entdeckte er eine Hülle mit dem Bild von Tokio Hotel.
Ein junges Mädchen mit feuerroten Haaren und Sommersprossen im Gesicht hatte ebenfalls nach einer CD gegriffen und hielt nun den schwarzen Barcode an einer blauen Vorrichtung unter rotes Licht, bevor sie sich bereithängende Kopfhörer über ihre Ohren stülpte.
Auch Aidan hatte sich bereits an einer dieser Apparaturen Kopfhörer aufgesetzt und schüttelte nun seine wilde Mähne zu einer Musik, die nur er hören konnte. Tabori suchte sich einen freien Platz und wiederholte die Prozedur, die er bei dem Mädchen beobachtet hatte.
Du stehst auf. Und kriegst gesagt
,
wohin du gehen sollst …
,
klang es in sein Ohr,
klar und ohne das Rauschen und Knistern, wie er es von dem alten Radio daheim gewohnt war.
Wenn du da bist. Hörst du auch noch
,
was du denken sollst.
Als der Liedauszug nach dreißig Sekunden endete, begann der nächste, den Tabori noch nicht kannte, obwohl er ebenfalls unverkennbar von Tokio Hotel
stammte.
Er stellte sich vor, wie es sein würde, Tokio Hotel immer und immer wieder hören zu können, unabhängig vom
Top Channel
. Nein, beschloss er spontan, er würde sich kein neues Radio anschaffen, sondern einen CD-Spieler – und dazu die aktuellen CDs von Tokio Hotel, von US5 und von Eminem.
Jäh übermannte ihn ein schlechtes Gewissen. Er träumte bereits davon, Geld auszugeben, das er noch nicht einmal verdient hatte. Außerdem war er doch nach Berlin gekommen, um Geld für Mutter und Mickael zu verdienen, nicht für sich. Damit Sorti niemals wieder zu ihnen nach Hause kommen würde. Damit Mickael einen Arzt besuchen konnte, der ihm besser half. Damit sie in ein neues Haus ziehen konnten. Und ganz am Ende, wenn nach all diesen Dingen noch Geld übrig war, dann erst würde er etwas für sich kaufen, aber kein Radio und keinen CD-Spieler, sondern eine neue Gitarre, um selbst Musik zu machen – und damit wieder Geld zu verdienen.
Reumütig machte er sich auf die Suche nach Aidan. Er fand ihn in der hintersten Ecke des Kaufhauses, inmitten einer Horde Jugendlicher, die aufgeregt vor hektisch flackernden Bildschirmen zappelten.
»Ich möchte gehen«, verkündete Tabori, als er neben Aidan stand.
Während die anderen Jungs ihn anfeuerten, hieb Aidan auf eine kleine schwarze Scheibe mit Knöpfen ein. Seine struppigen Haare standen noch wilder ab als zuvor. »Und wohin?«
»Arbeiten.«
»Nein, das macht jetzt keinen Sinn. Es ist Abend. Die Leute sind genervt und wollen nur nach Hause.«
Tabori fühlte sich unwohl inmitten des verführerischen technischen Wunderlandes. Als gehöre er hier nicht hin.
»Da!« Aidan gab ihm die Scheibe mit den Knöpfen. »Versuch mal!«
»Was ist das?«
»Ein
Gamepad
. Mit den Knöpfen
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