Trieb: Paul Kalkbrenner ermittelt. Bd. 3 (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
selbst, womit du deinen Hungerlohn verdienst?«
»Ich bin Fahnderin des für Veterinär- und Lebensmittelaufsicht zuständigen Überwachungsamtes in Berlin-Mitte.« Sie lächelte.
»Wisst ihr jetzt, warum ich beim LKA bin?«, ulkte Thanner. »Das kann ich mir wenigstens merken.«
»VetLeb ist nicht viel schwerer«, widersprach Beckmann. »Allerdings klingt es auch nicht wirklich sympathisch.«
Die Mamutschka balancierte die Getränke heran. Die beiden Frauen hatten sich für ein Mineralwasser entschieden, die Männer für Staropramen, ein tschechisches Bier. Thanner trank das halbe Glas in einem Zug aus. Er stieß auf, seufzte und fragte anschließend: »Habt ihr jetzt eine Ahnung, warum wir uns mit euch treffen wollten?«
»Ich fürchte, das haben wir.« Auch Kalkbrenner nahm jetzt einen Schluck vom Staropramen. Es schmeckte angenehm frisch und würzig. »Aber dass ich noch Appetit aufs Essen habe, wenn wir über den wirklichen Grund reden, möchte ich bezweifeln.«
»Ach was, da gewöhnt man sich dran«, meinte Thanner leichthin.
»Und damit hat er ausnahmsweise mal recht«, versicherte Beckmann grinsend.
Thanners mächtiges Doppelkinn schwabbelte, während er heftig nickte. »Wir ermitteln unter anderem gegen Nils de Jong, einen deutschen Fleischgroßhändler, der hier in Berlin sitzt.«
»Wobei, von einer Ermittlung zu sprechen ist beinah schon übertrieben«, korrigierte seine Kollegin. »De Jong steht erst mal unter Beobachtung. Er ist nämlich nicht irgendwer, sondern Marktführer in der Schlachtabfall-Branche und betreibt eine Tochterfirma der Boko
.
Kennen Sie Boko?«
»Nie gehört.« Kalkbrenner und Muth sahen sich fragend an.
»Boko
-
Produkte hat man nahezu täglich auf dem Tisch, denn die niederländische Firma Boko N. V. ist der größte Fleischverarbeiter in Europa. Ein paar Zahlen: über 12 Millionen Schweineschlachtungen jährlich, 8,9 Milliarden Euro Umsatz, Gewinnsteigerung im letzten Jahr 25 Prozent. In den vergangenen Jahren konnte das holländische Unternehmen viele in der deutschen Fleischbranche schlucken. Die Heroldsfleisch, die Kemmerfleisch, Assdorf, Belko, Fritz und eben auch De Jong – heute ist offiziell alles Boko
aus Amsterdam.«
»Amsterdam?«, wiederholten Kalkbrenner und Muth unisono.
»Genau«, bestätigte Beckmann.
»Und wir haben diesen Fleischmulti Boko
–
um genau zu sein: seine Tochterfirma De Jong
in Berlin – unter Verdacht, mit der internationalen Fleischmafia in Verbindung zu stehen«, führte Thanner aus. »Im Grunde ist die Sache ganz einfach: Großhändler, Lebensmittelproduzenten, Supermärkte, die ganze Palette möglicher Abnehmer wird geschmiert, damit sie neu etikettiertes Gammelfleisch übernehmen.«
»Was sich zuerst einmal so einfach anhört, ist allerdings ein komplexes System mit äußerst kriminellen Strukturen«, erklärte Beckmann. »Es gibt einen britischen Fleischimporteur namens Kombifleisch,
der sein Büro am Großmarkt Berlin-Beusselstraße hat. Kombifleischs
Geschäft besteht darin, Fleisch billig aufzukaufen und – wie auch immer – wieder an den Mann zu bringen. Bevorzugt erwirbt die Firma große Mengen Retourprodukte, also Ware, deren Haltbarkeitsdatum überschritten ist, und Schlachtabfälle. Offiziell darf dieses sogenannte K3-Material nur noch zu Tierfutter verarbeitet werden. Für den menschlichen Verzehr ist es ungeeignet.« Beckmann hielt in ihrer Ausführung inne und nahm einen Schluck Wasser, bevor sie fortfuhr: »Jüngst erwarb Kombifleisch
aus einer Insolvenz etwa neunzig Tonnen Schlachtabfälle und veräußerte sie kurz darauf an De Jong. Eine Transaktion, die uns stutzig machte, denn der Verkaufspreis war ungewöhnlich hoch, statt der üblichen 10 wurden 30 Cent gezahlt. Aber gut, bis dahin war noch alles im grünen Bereich. Selbst an der amtstierärztlichen Bescheinigung des Berliner Bezirksamtes konnte nichts bemängelt werden. Doch anschließend verkaufte De Jong
das Fleisch an D+R,
eine kleinere K3-Firma in Holland. Wir vermuten, dass es dort niemals angekommen ist und stattdessen irgendwo auf halbem Weg als Frischfleisch umetikettiert wurde, um anschließend von De Jong
zu ungleich höheren, aber für die Abnehmer noch immer günstigen Preisen an Lebensmittelbetriebe veräußert zu werden.«
Wie aus dem Nichts erschien die Kellnerin an ihrem Tisch und platzierte vier Teller mit dampfendem Essen vor ihnen.
»Das ging aber flott«, staunte Kalkbrenner.
»Ja, flott und gut.« Thanner machte sich bereits
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