Trieb: Paul Kalkbrenner ermittelt. Bd. 3 (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
»Und welcher soll das sein?«
»Restepoppen«, flüsterte sie.
Wenn
,
wenn du sagst
,
wenn du sagst: Okay!
,
Eddy & The Strawberries gingen zu einem flotteren Titel über,
dann
,
dann komm ich bei Regen und bei Schnee.
»Warte!« Renate griff in sein Haar. »Du hast da was.«
Er hielt es für einen Vorwand, ihn zu berühren, aber sie zeigte ihm einen weißlichen Fussel, der sich tatsächlich in seinen Strähnen verfangen hatte.
Sein verdutztes Gesicht brachte sie zum Lachen. »Wie? Du hast gedacht, ich würde …? Wie kommst du denn darauf, ich würde das wollen?«
»Willst du es denn?«, fragte er kess zurück.
Zur Antwort schloss Renate seinen Mund mit ihren Lippen. Sie waren weich und vom Lipgloss etwas klebrig. Ihre Zunge bahnte sich den Weg zwischen seinen Lippen hindurch, langsam und vorsichtig, als habe sie Angst, etwas zu zerstören. Dabei war es doch nur ein Kuss. Ein ganz normaler Kuss. Wie vertraut ihm das Gefühl war.
Was hast du gedacht? Dass du es verlernt hast?
Nun, zumindest hatte er es vermisst.
»Und, was sagt man in einem solchen Moment?«, fragte Renate.
»Ich weiß nicht?« Sackowitz grinste sie fragend an.
»Gehen wir zu mir oder zu dir?« Sie kicherte glucksend. »Klingt wie in einem richtig schlechten Film. Aber das ist kein Film, oder?«
»Zumindest kann ich keine Kameras entdecken.«
»Dann lass uns zu mir gehen«, schlug Renate vor.
39
Kalkbrenner benötigte eine Weile, bis er seine Verblüffung überwunden hatte. »Ich wusste gar nicht, dass du kommen wolltest.«
»Offenbar wissen wir im Moment beide nicht sehr viel voneinander.« Jessy machte auf dem Absatz kehrt. »Tut mir leid, ich wollte euch nicht stören. Ich komm später noch mal wieder.«
»Nein, nein.« Kalkbrenner zog seinen Mantel vom Stuhl. »Bleib du nur. Ich wollte sowieso gerade nach Hause.«
»Ach so?«
»Ja, Bernie wartet.«
Zögernd ging seine Tochter zum Krankenbett hinüber. Käthe Maria war eingeschlafen, der Unterkiefer herabgesackt, was ihr dünnes Gesicht in dem fahlen Licht der Nachttischlampe noch eingefallener erscheinen ließ. Ein leises Wimmern entwand sich ihrem Mund, und für einen kurzen Moment hatte es den Anschein, als wolle Jessy über den Zustand ihrer Großmutter augenblicklich in Tränen ausbrechen. Doch sie presste, wild entschlossen, sich keine Blöße zu geben, die Lippen aufeinander.
Kalkbrenner verspürte den Wunsch, sie zu trösten. Aber was sollte er ihr sagen? Vielleicht:
Was nicht zu ändern ist
,
ist nicht zu ändern.
Nein, wenn es um sein Privatleben ging, hatte sich sein umfangreicher Zitatenschatz noch nie als eine wertvolle Hilfe erwiesen.
Nicht reden
,
sondern handeln.
Er konnte seine Tochter einfach in den Arm nehmen, ließ es aber bleiben. Im Grunde war er schon froh darüber, dass sie ihn nicht angiftete, was er noch in diesem Zimmer verloren habe.
»Wie geht es Oma?«, erkundigte sich Jessy förmlich.
»Gut.«
»Gut?«
»Den Umständen entsprechend.«
»Und was heißt das jetzt?«
»Die Lungenentzündung, der Herzinfarkt, die Lungenstauung und die Niereninsuffizienz haben ihr zugesetzt. Wenn sie im Pflegeheim nicht so schnell reagiert hätten, dann …« Er stockte, weil ihm bewusst geworden war, dass er die Worte des Arztes wiederholte. Obwohl seine Tochter nichts davon wusste, kam er sich unbeholfen vor.
»Wird sie wieder?«
»Der Arzt sagt, nur weil sie nicht mehr auf der Intensivstation liegt, heißt das nicht, dass sie wieder gesund ist.«
»Typisch Götter in Weiß! Bloß keine verbindliche Aussage, man könnte sie ja später darauf festnageln.«
Kalkbrenner war sich nicht sicher, ob sie mit dem letzten Satz tatsächlich den Doktor gemeint hatte. »Ich gehe dann mal.«
»Warte, ich begleite dich.«
»Aber du bist doch gerade erst gekommen?«
»Oma schläft sowieso.« Sie strich ihrer Großmutter liebevoll durch das Haar. »Außerdem wollte ich nur ganz kurz vorbeischauen. Eigentlich bin ich auf dem Heimweg von der Uni.«
Wortlos liefen sie gemeinsam zum Ausgang. Draußen fiel Schnee. Ein dichter weißer Teppich hatte sich schon über Gehwege und Straßen gelegt, und noch immer standen sie sich stumm gegenüber.
Jessy trug einen braunen Fellmantel, eine Röhrenjeans und Stiefel mit Absatz. Das strähnig braune Haar hatte sie seit ihrem letzten Treffen wachsen lassen. Jetzt wallte es bis auf ihre Schultern hinab. Ansonsten hatte sie sich kaum verändert.
Was hast du auch erwartet?
,
schimpfte er sich selbst.
Dass sie gewachsen ist?
Käthe
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