Trieb: Paul Kalkbrenner ermittelt. Bd. 3 (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
bis Aidan aus seiner Jackentasche eine Packung Zigaretten holte. »Tut mir leid«, nuschelte er. »Ich wollte dir nicht … Es ist nur … Also, mein Vater …«
»Du magst deinen Vater nicht, stimmt’s?«
»Wie kommst du denn darauf?«
»Du hast gesagt, er sei blöd.«
»Ist er ja auch.«
»Siehst du, und das sagt man nicht über seinen Vater.«
»Doch, über meinen schon. Er ist ein Säufer. Kümmert sich nicht um die Familie. Eigentlich hat er uns immer nur geschlagen, meine Mutter, meinen Bruder und mich.« Aidan rupfte die Hülse von einer der Zigaretten. Über dem Tabak zerbröselte er etwas, das wie getrocknetes Unkraut aussah. »Mein Bruder hat es eines Tages nicht mehr ausgehalten und ist abgehauen. Hat mich alleine gelassen. Vor einem Jahr hab ich dann auch meine Sachen gepackt.«
»Und seitdem bist du in Berlin?«
»Ja, in Berlin.« Aidan rollte den Tabak wieder in die Hülse. »Magst du rauchen?«
»Nein, ich will keine Zigarette.«
»Das ist aber keine Zigarette.«
»Was denn dann?«
»Ein
Joint
.«
»Was ist das?«
»Wie? Du hast keine Ahnung, was ein Joint ist?«
Tabori schämte sich, obwohl er nicht wusste, warum. In Gracen hatte es schließlich so vieles nicht gegeben: keine Burger in Pappschachteln, keine flachen Fernseher, keine PlayStations und eben auch keine Joints.
Aidan steckte sich die Zigarette, die keine war, zwischen die Lippen. Die Art, wie er sie anzündete, ließ Routine erkennen. Nach kurzer Zeit erfüllte süßer Duft den Verschlag. Es roch nicht unangenehm, ganz anders als die stinkigen Zigarren, welche die Männer im Wohnzimmer rauchten, abends, wenn sie bei Taboris Mutter waren.
Aidan hielt Tabori auffordernd den Joint hin.
»Nein, wirklich, ich rauche nicht.«
»Jetzt komm schon, ist nicht schlimm. Im Gegenteil: Du kriegst gute Laune davon.«
Tabori wollte einwenden, dass er den ganzen Tag schon gute Laune gehabt hatte, aber er wollte nicht wieder wie ein Kind dastehen, das von nichts eine Ahnung hatte. Also nahm er Aidan den Joint ab und sog den Rauch ein. Dem angenehmen süßen Geschmack folgte ein überraschend kräftiger Hieb auf die Lunge. In seiner Luftröhre kratzte es, und Tabori musste husten.
»So ist das immer beim ersten Mal«, beruhigte ihn Aidan. »Du musst es einfach noch mal versuchen.«
Tabori zögerte und probierte erneut. Wieder hustete er.
»Noch einmal«, kam es von Aidan.
Beim dritten Mal hatte sich Tabori an den Joint gewöhnt. Er atmete den Rauch ein, spürte aber nichts.
»Und warum soll ich mich jetzt gut fühlen?«, fragte er.
»Warte einfach ab«, kicherte Aidan.
Abwechselnd pafften sie den Joint, bis nur noch ein kurzer Stummel übrig war. Aidan löschte die Glut im Dreck, und sie betrachteten die grauweißen Rauchschwaden, die in kunstvollen Bahnen durch die Kammer schwebten.
Mit einer Hand streichelte Tabori dabei die Katze weiter. Ihr Fell schien unter seinen Fingern zu prickeln. Plötzlich war da ein leichtes Sirren, das seinen Arm hinauf zur Schulter floss und von dort seine Brust erfüllte. Ein eigenartiges Gefühl, ein Kribbeln, aber nicht unangenehm, irgendwie … Er war überrascht, als er sich selbst kichern hörte.
»Siehst du«, lachte Aidan. »Es wirkt.«
»Fühlt sich gut an, oder?«, lachte Tabori jetzt ebenfalls. Er fühlte sich wohl. Möglicherweise lag es an dem Joint, vielleicht war aber auch nur der schöne Tag dafür verantwortlich, den er verlebt hatte. »Aidan, warum bist du eigentlich so nett zu mir?«
»Weil ich es leid bin, alleine zu sein.«
Das konnte Tabori gut verstehen. Von irgendwoher drang das Schnurren der Katze an sein Ohr. Der Katze namens Gentiana. Lächelnd schlief Tabori ein.
Berliner Kurier, Donnerstag, 12. Januar
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