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Trieb

Trieb

Titel: Trieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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In der nächsten Station wechselten sie in die S-Bahn. Über der Erde fuhren sie sieben Stationen weiter. Tabori zählte stumm mit, bis sie gegenüber einem futuristisch anmutenden Einkaufszentrum ausstiegen. Grelle rote Buchstaben verkündeten:
Eastgate.
    An einem Schaukasten deutete Ludwig mit seinem Zeigefinger auf einen Punkt inmitten eines komplizierten, bunten Musters. »Wir sind hier.«
    Marzahn, das ausnahmslos aus Hochhäusern bestand, lag etwas abseits vom Zentrum der Stadt. Tabori schaute zu den oberen Stockwerken hinauf. Wie konnten die Menschen dort oben nur wohnen, ohne dass ihnen schwindelig wurde?
    Es fiel dem Jungen schwer, mit Ludwig Schritt zu halten, der zügig einem der Häuser entgegenstrebte. Es war eines der höchsten in der Straße, das Mauerwerk schien vor nicht allzu langer Zeit mit gelber Farbe gestrichen worden zu sein. Die Holzverkleidung im Fahrstuhl war hingegen zerkratzt und mit unleserlichen Sprüchen verschmiert.
    In der vierten Etage stiegen sie aus, und Ludwig schloss die Tür zu seiner Wohnung auf. Der lange, schmale Flur war mit einem grauen Teppich ausgelegt. An den Wänden hingen große Bilder mit sommerlichen Strandmotiven. Eine Heizung hielt selbst den Gang angenehm warm. Unter das Gluckern der Heizungskörper mischte sich das schwere Ticken einer Standuhr, die wie ein wachsames Auge auf einem Sideboard thronte.
    »Möchtest du etwas trinken?«, fragte Ludwig.
    Der Weg vom Bahnhof bis zum Haus war frostig gewesen. »Danke, ja.«
    »Einen heißen Kakao?«
    »Bitte, ja.«
    Im ersten Raum, der vom Flur abging, befand sich die Küche. Sie war hell und modern eingerichtet. Kein Vergleich mit dem Backofen, dem Herd und den billigen Schränken zu Hause in Gracen. Sogar ein kleiner Fernseher stand auf dem Kühlschrank.
    »Geh ruhig«, sagte Ludwig. »Ganz hinten ist dein Zimmer.«
    »Zimmer von Fritz?«
    »Ja, natürlich, das ist … Das war das Zimmer von Fritz. Dort kannst du
jetzt schlafen.«
    Die Worte weckten ein unbeschreibbares Bedürfnis in Tabori. Die Aussicht auf ein warmes Bett ließ ihn dem Gang bis zum Ende folgen. Behutsam öffnete er die Tür, und alle Müdigkeit war wie fortgeblasen.
    »Gefällt es dir?«, rief ihm Ludwig aus der Küche zu.
    »Ja«, war das Einzige, was Tabori hervorbrachte.
    An der Wand befand sich ein breiter Kleiderschrank. Er war aus dem gleichen hellen Holz gefertigt wie das Bett, das vor dem Fenster stand. Es war unglaublich breit. Tabori und Mickael hätten mit Leichtigkeit darin Platz gefunden. Auf der Matratze lagen einige Teddybären, wahrscheinlich letzte Überbleibsel von Fritz’ ehemaliger Anwesenheit. Was sicherlich auch für die Kiste am Boden galt, in der Tabori eine Holzeisenbahn entdeckte.
    Auf dem Schreibtisch wartete ein Computer darauf, benutzt zu werden. Vor dem Monitor lag ein Gamepad, dessen Kabel sich zu einer PlayStation schlängelte. Es war die gleiche Konsole, an der Tabori mit Aidan bei
Saturn
gespielt hatte! Gleich daneben, auf einem halbhohen Schrank, gab es einen CD-Player mit großen Lautsprecherboxen. Etliche CDs stapelten sich vor ihm. Sie waren zu weit entfernt, als dass Tabori die Titel hätte erkennen können, und obwohl er neugierig war, blieb er auf der Schwelle stehen. So einladend das Zimmer auch auf ihn wirkte, es gehörte Fritz.
    »Schau dir die CDs ruhig an.« Ludwig war unbemerkt hinter ihn getreten. »Tut ja sonst keiner.«
    In einer Nische hinter der Tür waren zwei Poster an die Wand geheftet. Eines zeigte Michael Jackson, das andere veranlasste Tabori, endlich den Raum zu betreten.
    »Magst du Tokio Hotel?«
    »Ja, das ist meine … Gruppe.«
    »Du meinst, deine Lieblingsgruppe?«
    Taboris Herz machte einen noch freudigeren Satz, als er in eine Ecke schaute. »Ich mag Musik«, sagte er und deutete auf das Instrument, das auf dem Teppichboden lag. »Ich spiele Gitarre.«
    »Nein, wirklich?« Ludwig klatschte begeistert in die Hände. »Du musst mir etwas vorspielen.«
    »Vorspielen?«
    »Du. Spielen. Gitarre. Für Ludwig.«
    Tabori bereute es schon, ihm von seiner Leidenschaft erzählt zu haben.
    »Ist dir das peinlich?« Ludwig nahm die Gitarre auf und drückte sie Tabori in die Hand. »Ach was, trau dich.«

77
    In Panik fingerte Sackowitz nach dem verräterischen Telefon. Blindlings drückte er irgendwelche Tasten, Hauptsache, das verdammte Teil gab so schnell wie möglich Ruhe. Endlich! Das Handy verstummte. Gleichzeitig näherte sich ein Schatten dem Gartenhäuschen. Sackowitz pumpte noch

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