Trieb
beruhigte.
Aber er sieht auch nicht fröhlich aus.
»Wie Sie wissen, wurden mit Hilfe Ihrer Nachbarn Handzettel verteilt«, begann er. »Die zentrale Frage dabei war, ob einer der Anwohner Manuel gesehen oder etwas beobachtet hat. Wir haben etliche Hinweise erhalten, aber leider war nichts Konkretes dabei.«
»Gar nichts?«, flüsterte Anna.
»Es gibt einen Mitschüler, der Manuel gestern Mittag mit einem Fremden auf der Wiese im Mauerpark gesehen haben will. Leider waren die Angaben sehr widersprüchlich. Darüber hinaus halten wir es inzwischen für unwahrscheinlich, dass Ihr Sohn sich zu dieser Zeit noch im Prenzlauer Berg aufgehalten hat, denn wir haben das Videomaterial des U-Bahnhofs Schönhauser Allee ausgewertet.«
Unsicher umfasste Anna die Gabel. »Das ist direkt um die Ecke.«
»Ja. Von dort ist Manuel gestern Mittag, kurz nach Unterrichtsende, mit der U2 zum Alexanderplatz gefahren.«
Manuel sollte allein mit der U-Bahn quer durch Berlin gefahren sein? »Das ist unmöglich!«
Veckenstedt hielt ihr einen verschwommenen Abzug eines Bildes von einer Überwachungskamera entgegen. »Ist das Ihr Sohn?«
Annas Fingerknöchel wurden weiß.
»Am Alexanderplatz verliert sich leider Manuels Spur. Die Kollegen haben die Aufzeichnungen der Kameras an den anderen Bahnsteigen und Ausgängen wiederholt überprüft, aber bei diesem Wetter und dem Betrieb ist uns Manuel entwischt. Wir haben Passanten und Pendler befragt, und auch in den umliegenden Geschäften haben wir Erkundigungen eingeholt. Leider ist er niemandem aufgefallen.«
Verbissen fixierte Anna den winzigen Weihnachtsbaum auf dem Küchentisch. »Was hatte Manuel am Alexanderplatz zu suchen?«
»Nun, es gibt drei Möglichkeiten, was am Alexanderplatz passiert sein könnte. Die erste wäre: Er hat den Ausgang zur Straße genommen. Dann wäre es hilfreich zu wissen, ob er Freunde in der Nähe hat. Leben dort vielleicht Bekannte, von denen Sie uns noch nichts erzählt haben?«
»Ich sagte doch schon, die hätten uns längst Bescheid gegeben.«
»Die zweite Möglichkeit wäre, dass Ihr Sohn in eine andere Bahn umgestiegen ist.«
»Lässt sich das nicht überprüfen?«, wollte Nina wissen. »Dazu müssten Sie doch nur …«
»Wir sind dabei«, fiel Veckenstedt ihr ins Wort. »Aber vom Alexanderplatz führen sechs U- und S-Bahn-Linien in zwölf verschiedene Richtungen an mehr als einhundert Bahnhöfen vorbei. Da können Sie sich in etwa ausmalen, wie lange die Sichtung aller Videoaufnahmen dauert. Aber vielleicht können wir so die Suche abkürzen.« Er schob die Schachtel mit den Bratnudeln beiseite und entfaltete einen Bahnstreckenplan der Berliner Verkehrsbetriebe. »Überlegen Sie bitte, welche Ziele Ihr Sohn angesteuert haben könnte.«
Anna knallte die Gabel auf den Tisch. »Wenn ich das wüsste, hätte ich dort doch schon längst selbst gesucht. Außerdem – was sollte er dort so lange tun? Bei diesem Wetter? Er ist ein kleiner Junge. Er hätte sich längst gemeldet. Irgendetwas muss …« Sie griff nach der Gabel und bohrte sich deren Zinken in ihren Daumen. »Was ist die dritte Möglichkeit?«
»Er wurde von jemandem mitgenommen.«
»Aber von wem?« Doch die Antwort lag auf der Hand.
Verbrecher? Rächer? Oder ein Triebtäter?
Vor Angst schwirrte ihr der Kopf. »Was haben Sie jetzt vor?«
»Wir werden eine Suchmeldung an die Presse geben, schalten Fernsehen, Radio und die Printmedien ein. Ich denke, das ist in Ihrem Sinne.« Er legte einen Zettel auf den BVG-Plan. »Zeugen, die etwas beobachtet haben, egal was, egal wen, können sich an diese Nummer hier wenden, sie landen dann direkt bei der Soko. Im Augenblick sind dort achtzig Beamte …«
»Achtzig?«
Reichen die denn für eine Stadt wie Berlin aus? Mit über drei Millionen Einwohnern?
»Achtzig sind viel zu wenig!«
»Frau Benson, die Kollegen sind erfahrene Profis und unermüdlich im Einsatz. Sie befragen mögliche Zeugen, sichten die Videos und werden Hinweisen aus der Bevölkerung nachgehen.« Er erhob sich von seinem Platz. »Außerdem haben wir für solche Fälle ein Kriseninterventionsteam, dem auch Psychologen angehören. Wenn Sie möchten …«
»Ich brauche keinen Psychologen. Ich will, dass Sie Manuel finden!«, fuhr Anna auf, und ihre Stimme überschlug sich fast. »Und erst recht keinen Quacksalber, der mir einredet, ich solle mich beruhigen.« Im nächsten Atemzug bereute sie schon ihren scharfen Ton. Selbstverständlich unternahm die Polizei alles nur
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