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Trieb

Trieb

Titel: Trieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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aus. Die Asche wirbelte auf, und einige der grauen Teerfasern landeten auf ihrer Tätowierung am Handknöchel.
Gott ist mit uns.
Unmerklich faltete Anna die Finger. Falls es ihn doch gab, diesen Gott, dann bat sie ihn jetzt darum, ihr ein Zeichen zu senden. Nur ein kleines Signal von Manuel. Dass es ihm gut ging. Dass alles wieder gut werden würde.
Bitte
,
lieber Gott
,
bitte gib mir meinen Sohn zurück.

75
    Die Kugel verfehlte Sackowitz nur knapp. Er versuchte, sich durch einen Sprung über die Schienen der Uferbahn in Sicherheit zu bringen, aber sein Fuß verfing sich in einem Gleisbolzen. Sackowitz stürzte der Länge nach ins dichte Gestrüpp, das ihm die Hände zerkratzte. Der Schmerz war ihm egal, als ein weiterer Schuss neben ihm einschlug.
    Voller Panik robbte Sackowitz durch das starre Unterholz. Dass die Äste ihm das Gesicht zerschrammten, merkte er nicht. Dann endlich stemmte er sich verzweifelt auf die Beine und rannte in den Wald hinein.
    Was ging hier vor?
Blöde Frage!
Radomski war vor seinen eigenen Augen hingerichtet worden. Aber warum?
Sie haben keine Ahnung
,
um was es geht.
Auf jeden Fall nicht mehr um einen dummen Scherz. Das hier war blutiger Ernst.
Das hast du doch gewollt!
Eine heiße Story. Mörderisch heiß sogar. Hinter ihm hörte er Äste knacken.
    In welcher Richtung stand der Polo? Sackowitz hatte die Orientierung verloren. Immerhin war es unwahrscheinlich, dass er sich verlief. Der Stadtforst war nur von unbedeutender Größe, allerdings groß genug, um unbemerkt zu erfrieren, wenn er nicht rechtzeitig den Wagen erreichte. Zum Beispiel weil seine Kräfte auf halber Strecke versagten. Mittlerweile pumpte sein Herz wie wild. Jeder Schlag in seiner Brust hatte die Sprengkraft eines mittelgroßen Chinaböllers. Jeder einzelne sprengte seinen Schädel, raubte ihm die Sicht, ließ ihn taumeln.
    Bäume streckten ihre Äste wie Finger nach ihm aus. Büsche griffen gierig nach seinen Füßen, wollten ihn zu Boden zerren. Sackowitz stolperte blindlings über sie hinweg. Hastete vorwärts. Wankte. Behielt aber das Gleichgewicht. Solche Anstrengungen war er nicht mehr gewohnt. Er spürte, dass er langsamer wurde. Der Arzt in der Reha-Klinik hatte ihm damals ausdrücklich körperliche Anstrengungen verboten.
Aber verdammt!
Er hatte nicht die Scheidung überstanden, dem Suff getrotzt und einen Herzinfarkt überwunden, nur um in diesem verfluchten Wäldchen zu sterben. Beispielsweise, indem er von einem durchgedrehten Killer über den Haufen geschossen wurde!
    Die Laubenpieperkolonie erschien in seinem Blickfeld.
Gott sei Dank.
Keuchend bog Sackowitz das Geäst einer Hecke beiseite und rannte an den schneebedeckten Gartenhäuschen vorbei. Hinter manchen Fenstern glitzerten noch Weihnachtsgestecke. Mitte Januar! Er hielt Ausschau nach Hilfe, konnte aber nichts und niemanden entdecken.
Keine Menschenseele weit und breit
,
verflucht.
    Unter ans Limit gehenden Anstrengungen hievte er sich über einen Lattenzaun, bevor er das dahinterliegende Gartenbeet umrundete. Es war ordentlich gepflegt, sofern er das erkennen konnte. Laubenpieperkolonien unterlagen selbst im Winter strengen Regeln. Kein Abfall. Keine Unebenheiten. Kein Unkraut.
Und keine Toten.
Ob der Mörder das wusste? Wohl eher nicht.
    Sackowitz ging hinter einem Haufen Kaminholz in die Hocke. Er hielt sich die schmerzende Brust. Unter seinen Fingern raste das Herz.
Viel zu schnell.
Er zwang sich, ruhig zu atmen. Als er Schritte hörte, presste er eine Hand auf die Lippen.
Keinen Laut.
    Dann klingelte das Handy in seiner Jackentasche.

76
    Ludwig kaufte für Tabori ein U-Bahn-Ticket. Mit etwas Glück fanden sie in den vollen Abteilen zwei freie Plätze. Während die Waggons durch den Untergrund rumpelten, wechselten sie kein Wort miteinander. Manchmal blitzte Licht im Tunnel auf, dann waren für den Bruchteil von Sekunden abzweigende Schächte wie in den dunklen Höhlen auf dem Skanderberg zu erkennen, bevor sie wieder in die Finsternis abtauchten.
    Tabori deutete aus dem Waggonfenster ins Dunkel. »Menschen leben hier?«
    »Hier unten?« Ludwig wirkte erschrocken. »Nein.«
    Wieder verfiel er in Schweigen. Bestimmt war er noch immer enttäuscht von ihm. Oder traurig, weil sein Sohn Fritz ihn nicht sehen wollte. Tabori konnte das nicht begreifen. Wenn sein Vater noch am Leben wäre, hätte es keinen Grund der Welt gegeben, der ihn davon abgehalten hätte, ihn zu sehen.
    Als die Bahn abbremste, stand Ludwig auf, und Tabori folgte seinem Beispiel.

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