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Trieb

Trieb

Titel: Trieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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betrachtete sie das Mobiliar. »Ist das von Oma?«
    »Gefällt es dir nicht?«
    »Ein bisschen rustikal.«
    »Rustikal?«
    »Okay, alt eben.«
    Er platzierte die Linde auf dem Fensterbrett im Schlafzimmer. »Ist ja auch ein Altbau«, versuchte er einen Scherz.
    »Wieso sind die Möbel hier?«
    Kalkbrenner haderte mit sich.
Aber warum nicht die Wahrheit sagen?
»Sie hätten eigentlich entsorgt werden müssen, aber das habe ich einfach nicht übers Herz gebracht.«
    Jessy nickte, als gefiele ihr die Antwort. Sie setzte sich auf die Couch, Bernie wurden einige Streicheleinheiten zuteil, und der Ermittler entkorkte eine der beiden Weinflaschen. Er schenkte ein, dann stießen sie miteinander an.
    »Worauf trinken wir?«, wollte Jessy wissen.
    »Auf den heutigen Abend?«, kam es zögernd als Antwort.
    »Klingt nicht schlecht.«
    Während sie an dem Spätburgunder nippten, kehrte Stille ein. Die Situation war weit davon entfernt, vertraut zu sein. Obwohl ihm seine Tochter immerhin schon gegenübersaß, war noch eine große Distanz zu überwinden.
Auf den heutigen Abend.
Trotzdem: Es war ein Anfang. Er schaltete den Kassettenrekorder auf Radioempfang. Deep Purple würde seiner Tochter bestimmt auch zu rustikal erscheinen. Aus den Lautsprechern erklangen die Red Hot Chili Peppers.
I tumble into space
,
try to stop the fall. My body ripped and tore
,
I could have floated in space.
Das traf wohl eher Jessys Geschmack. Sicher konnte er sich aber nicht sein.
    »Was gibt es zu essen?«, fragte sie.
    »Lasagne.«
    Sie lächelte. »Und ich dachte, es wären Würstchen, die da gerade anbrennen.«
    Fluchend rannte er in die Küche. Aus dem Backofen quoll eine dichte Rauchwolke, die Lasagne war nur noch ein verkohlter Haufen.
    Jessy erschien im Türrahmen. »Alles in Ordnung, Paps?«
    »Na klar.«
    Sie deutete auf die Pfanne in seiner Hand. »Klar sieht für mich aber irgendwie anders aus, meinst du nicht auch?«
    Sie brach in Lachen aus, und er stimmte mit ein, was ihre Befangenheit für den Moment löste. Gemeinsam entsorgten sie die verbrannte Lasagne im Mülleimer. Bernie winselte, als er das Fleisch roch, aber sein Betteln wurde nicht erhört.
    »Und was essen wir jetzt?« Jessy untersuchte den Kühlschrankinhalt, dann wandte sie sich einem Küchenschrank zu. »Ah! Wie wäre es mit Suppe?«
    Sie hielt die Dose Fielmeisters Beste
in der Hand. Hühnersuppe mit extragroßen Würstchen.
Und was ist mit dem vergammelten Putenfleisch passiert? Würstchen!
»Nein, auf keinen Fall!«
    »Für mich wäre das schon okay.«
    Hastig riss er seiner Tochter die Konserve aus der Hand und hastete ins Bad.
    »Was hast du vor?«
    Er zog den Deckel auf und kippte den Doseninhalt in die Kloschüssel.
    »Was soll das denn?«
    Der Abzug rauschte, und die Suppe verschwand für immer im Berliner Abwasser. »Bestellen wir lieber was.«
    »Bei
Papa No

    Weil Kalkbrenner die Karte der Sushi-Bar in Kreuzberg nicht auswendig kannte, übernahm seine Tochter das Telefonat. Sie orderte Hot-&-Sour-Suppe, Tsuna Negi Roll, Kappa Philadelphia Maki und Tekka Maki. Kalkbrenner verstand nur Bahnhof, doch besser als Hühnersuppe mit extragroßen Würstchen würden die exotischen Gerichte allemal sein.
    »Ich werde auch bald umziehen«, sagte Jessy unvermittelt.
    »Aber du bist doch gerade erst …?«
    »Paps, das ist schon sechs Monate her.«
    Schon? Sie meint wohl: erst.
    »
Leif und ich, wir wollen zusammenziehen.«
    »Wirklich?«, staunte er.
    »Findest du das schlimm?«
    Er sinnierte einen Augenblick. »Nein, wenn ihr glücklich seid?«
    »Das sind wir.«
    »Dann freue ich mich für euch.«
    »Ehrlich?«
    Ja, das war durchaus ehrlich gemeint. Wenn Jessy glücklich war, dann wollte er sich mit ihr freuen. Er prostete ihr zu. »Auf dich und Leif!«
    »Danke, Paps.« Aber statt einen Schluck vom Wein zu trinken, schaute sie ihn über den Glasrand hinweg an, als würde sie noch etwas Wichtiges sagen wollen, sei aber noch auf der Suche nach den richtigen Worten.
    Kalkbrenner wartete. Jetzt, wo sie wieder miteinander redeten, hatte er Zeit. Doch Jessy hüllte sich in Schweigen. Im Radio wurden die Nachrichten gesendet. Der Sprecher berichtete von einem Jungen, dem zehnjährigen Manuel, der verschwunden war. Die Polizei organisierte gegenwärtig eine der größten Suchaktionen, die die Hauptstadt je erlebt hatte. Es folgte ein Aufruf, in dem Augenzeugen gebeten wurden, sich zu melden. Wer hatte Manuel zuletzt gesehen?
    »Hoffentlich nimmt das nicht wieder ein schlimmes

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