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Trieb

Trieb

Titel: Trieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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Manuel.

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    Ein Bettlaken war nur ein unzureichender Ersatz für eine blickdichte Gardine. Das Tageslicht fiel durch den dünnen Stoff direkt auf Paul Kalkbrenners Gesicht. Trotz der Wolken am Himmel war er von der Helligkeit aufgewacht, aber das war zu verschmerzen, nachdem er die erste Nacht im neuen Bett, dem seiner Mutter, tief und fest geschlafen hatte. Er streckte sich genüsslich, was dem Lattenrost ein Stöhnen entlockte. Das Geräusch weckte wiederum Bernie. Ein Satz, und der Vierbeiner bequemte sich, neben dem Ermittler auf der Matratze Platz zu nehmen. Gleich darauf entfleuchte seiner Schnauze schon wieder ein geräuschvolles Schnarchen.
    Kalkbrenner rupfte das Laken vom Fensterrahmen. Der Nachtfrost hatte Eisblumen auf der Glasscheibe erblühen lassen, die den Blättern von der Zimmerlinde gar nicht mal so unähnlich waren. Als Jessy sich am Abend zuvor von ihm verabschiedet hatte, war Kalkbrenner mit einem zufriedenen Gefühl zu Bett gegangen. Trotz der missratenen Lasagne war es ein gelungenes Treffen gewesen, das berechtigten Anlass zur Hoffnung gab.
    Bernie fiepte. Wahrscheinlich träumte er schlecht. Kalkbrenner weckte den Hund, der sich sofort auf den Rücken wälzte und alle viere von sich streckte.
Bitte
,
streichel mich!
Von Zärtlichkeiten konnte der Bernhardiner nicht genug bekommen. Doch Kalkbrenner machte sich schnell tageslichttauglich und scheuchte Bernie ins kalte Treppenhaus. Aufs Joggen würde er heute ausnahmsweise verzichten. Lieber wollte er mit dem Hund nach Kreuzberg laufen und sich dort in einem der Cafés ein entspanntes Frühstück genehmigen. Nach dem Verlauf des gestrigen Tages und Abends hatte er sich das wahrlich verdient.
    Eine Stimme, hell wie die eines Kanarienvogels, sprach ihn im Innenhof an. »Juten Morjen, Herr Kalkbrenner! Det sin’ Se doch, oda?« Eine obskure weibliche Gestalt tätschelte Bernie den Schädel. »Un’ du bist ooch een Süßa, wa?«
    Aus den weißen Socken, die in goldenen Pantöffelchen mit Absatz steckten, einer schreiend blauen Küchenschürze und den wild wuchernden grauen Haaren setzte sich das Bild einer älteren Dame zusammen. »Se sin’ neu einjezogn, wa?«
    »Genau. Vor drei Tagen.«
    »Und? Jefällt et Ihnen beim Herrn Stadlmeister?«
    »Wer ist denn Herr Stadlmeister?«
    »Na, der hat doch vor Ihnen in der Dritten jewohnt.« Sie kratzte sich ihr Kinn, aus dem, selbst für Kalkbrenner sichtbar, ein langes graues Haar spross. »Sechs Jahre, gloob ick, könnte aba och länger jewesen sein. Is’ ’ne schöne Wohnung oben. Jeht die Heizung noch?«
    »Sollte sie etwa nicht?«
    »Na, Se wissen doch, wie det so is’ in den Altbauten. Mal jeht et, mal jeht et nich’. Ick kümmere mir drum. Un’ da der Herr Stadlmeister unter der Woche imma viel unterwechs war, der war ja Jeschäftsmann oder so, kann et ja sein, det niemand det mitjekricht hat, det de Heizung manchmal nich’ jeht. Wenn se also nich’ jeht, sagen Se mir einfach Bescheid.«
    Endlich begriff Kalkbrenner, wen er da vor sich hatte. »Sie sind die Hauswartin.«
    »Ja, richtig, ick bin Frau Stephan, ick kümmere mich um allet, wat hier so anfällt. Wenn also wat is’, wenden Se sich an mir, wa.«
    »Das ist sehr nett, danke.«
    »Dafür nich’.« Ihr Lächeln erlosch. »Hab ja nich’ mehr so viel zu tun, wissen Se? Seit meen Mann jestorben is’, vor elf Jahren, da guck ick hier nach dem Rechten. Kann ja nich’ schaden, so ’n bisschen, wenn man aufmerksam is’.« Die Kälte schien Frau Stephan trotz der dünnen Küchenschürze nichts auszumachen. Die Rolle als treusorgende Hauswartin und Nachbarin hatte sie abgehärtet. »’nen schönen Hund ham Se da. Se sin’ ja nich’ der Eenzigste, der een Haustier hat, wissen Se? Drüben, in der Zwo, die ham ooch ’nen Hund. Aba wie die Rasse heeßt, fragen Se mich lieba nich’. Aber ’nen schönen Hund ham se, wissen Se? Un inna Vier, da ham se zwee Katzen. Ick hab mir drum jekümmert, als se in Urlaub warn. Nette Leute. Und zwee Katzen …«
    »Frau Stephan, ich …«
    »Ich sach Ihnen mal wat. Drüben in der Fünf, da ham se och Katzen, die seh ick manchmal auf der Dachterrasse üba Ihnen, wo …«
    »Moment!« Kalkbrenner unterbrach ihren Redefluss und schaute zu seiner Wohnung hinauf. Außer der Regenrinne war dort oben nichts zu erkennen. »Sagten Sie gerade Dachterrasse? Über mir?«
    »Ja, ’ne Dachterrasse un’ ’n Atelier. Jehört beides dem Meier ausser Fünf. Wissen Se det denn nich’?«
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