Trieb
ihm schwer.
»Aber wenn du willst, kannst du in der warmen Wohnung bleiben, während ich nach deinem Cousin Ryon suche. Das habe ich dir ja versprochen.«
Erleichtert kaute Tabori weiter.
»Du kannst Fernsehen schauen.«
Auf dem Bildschirm erkannte Tabori Chris, Izzy und Jay von US5
.
»Oder PlayStation spielen. Oder Gitarre. Dann kannst du heute Abend noch einmal für mich Musik machen.« Ludwigs Gesichtsausdruck wurde bei der Vorstellung auf einmal ganz verträumt. »Deine Musik hat mich gestern an meinen Sohn erinnert. Das gefällt mir.«
Tabori war stolz und nickte zustimmend.
»Fühl dich wie zu Hause. Und falls dir die Decke auf den Kopf fällt, also falls dir langweilig wird, kannst du auch einen Ausflug in die Stadt machen. Dir Berlin angucken. Hast du schon den Fernsehturm gesehen? Das musst du unbedingt. Man kann nach oben fahren und von dort auf die Stadt hinunterschauen. Wirklich toll. Oder du gehst ins Sealife
.
Dort haben sie viele bunte Fische. Auch Haie und so.«
Ludwig legte zwei Geldscheine neben Taboris Teller. Es waren zweimal 50 Euro. Tabori betrachtete die Banknoten, als seien sie Außerirdische.
»Davon bezahlst du den Eintritt ins Sealife und kannst dir Essen kaufen. Ich will nicht, dass du hungerst. Und klauen sollst du auch nicht, denn beim nächsten Mal bin nicht ich es, der dich dabei erwischt, sondern die Polizei. Und das willst du doch nicht, oder?«
»Nein, keine Polizei.«
»Und wenn du nicht ins Sealife
willst, dann kauf dir einfach was Neues zum Anziehen.«
»Nein!« Das wollte Tabori noch viel weniger. Ludwig hatte ihm gerade Kleidung von Fritz geschenkt, wie würde das denn aussehen, wenn er sich andere Sachen kaufte? Als ob er unzufrieden und undankbar wäre.
»Mach einfach, was du willst«, meinte Ludwig. »Hauptsache, wir treffen uns am Abend wieder. Vielleicht habe ich bis dahin auch schon Ryon gefunden.«
»Ja, danke!« Tabori strahlte, als er daran dachte, seinen Cousin bald wiederzusehen.
»Jetzt muss ich aber los. Und lass das Geschirr stehen. Ich räume es später ab. Bis heute Abend, Tabori.« Bevor Ludwig die Wohnung verließ, drückte er Tabori noch einen Fahrschein in die Hand. »Falls du in die Stadt fährst: Das ist ein Tagesticket. Wir wollen doch nicht, dass man dich beim Schwarzfahren erwischt.«
»Schwarzfahren?«
»Fahren ohne Ticket. Das ist nicht erlaubt.«
»Wie Klauen.«
»Genau. So wie Klauen.«
Tabori hob die Hand zum Eid. »Nein, versprochen. Keine Polizei.«
87
Die Modersohnbrücke verband die sogenannte Upper Eastside mit dem Boxhagener Kiez. An lauen Sommerabenden bot sich den Berlinern, die draußen bei Rotwein und Kerzenlicht saßen, ein traumhafter Sonnenuntergang über der imposanten Skyline von Mitte. Heute war die Faszination nur zu erahnen. Kalte graue Schwaden hüllten die Stadt ein wie ein Kokon. Aber das war okay, der triste Anblick entsprach haargenau Kalkbrenners Gemütszustand.
Er parkte seinen Passat am Boxhagener Platz, der In-Ecke von Friedrichshain, wo die Cafés und Kneipen hippe Namen wie
Burgeramt
,
Feuermelder
oder
Strudelmanufaktur
trugen
.
Der
Frühstücksclub
bestand zum überwiegenden Teil aus Küche und Theke, sodass er nur wenigen Gästen Platz bot, dadurch aber gemütlicher wirkte.
»Kleiner Geheimtipp«, lächelte Sera Muth zur Begrüßung und pickte aus ihrer Platte mit türkischem Frühstück ein paar Oliven heraus.
Kalkbrenner betrachtete die frischen Tomaten, Gurken, das Rührei und das Fladenbrot. Bei ihm hatte es nur für zwei Stullen mit drei Tage altem Bierschinken gereicht, der schon leicht fluoresziert hatte. »Ein heißer Tipp im Fall Fielmeister wäre mir lieber.«
Seine Kollegin bedachte ihn mit einem angesäuerten Blick, packte die Überreste ihres Frühstücks in eine bereitstehende Plastikschale und belohnte den Koch zum Abschied mit drei Wangenküsschen, bevor sie in Kalkbrenners Passat stieg. Schweigend legten sie den Weg zur Warschauer Straße zurück und passierten die Kuppeltürme des Frankfurter Tors. Als Kalkbrenner nicht zum Präsidium am Alexanderplatz abbog, überwand sich Muth endlich und fragte: »Wohin fahren wir?«
»Zur Wohnung von Harald Sackowitz.« Er berichtete kurz, was er vor wenigen Minuten von den Kollegen aus Grünau erfahren hatte.
»Deshalb also deine schlechte Laune«, schlussfolgerte Muth.
»Und was ist mir dir? Geht es dir gut?«
»Natürlich.« Sie klang nicht mehr sauer.
»Rita sagte mir, dass du beim Arzt warst.«
»Hat sie sich Sorgen
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