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Trieb

Trieb

Titel: Trieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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In der Küche war sie zusammengebrochen. Alan hatte sie ins Bett getragen, aber sie hatte sich dagegen gewehrt, liegen zu bleiben.
Was
,
wenn Manuel genau jetzt heimkommt?
Alan hatte besänftigend auf sie eingeredet, und irgendwann war sie dann wohl eingeschlafen.
    »Ist Manuel …?« Mehr traute sie sich nicht zu fragen.
    Alans schwarzer Schatten zeichnete sich dicht neben ihr ab. Er schüttelte den Kopf.
    »Und die Polizei? Hat sich die Polizei gemeldet?«
    Er wälzte sich auf die Seite und stützte seinen Kopf in die Handfläche. »Nein, noch nicht.«
    »Wie spät ist es?«
    »Kurz nach zehn.«
    Enttäuscht sank Anna zurück aufs Kissen. Inzwischen mussten alle wichtigen Fernseh- und Radiosender über Manuel berichtet haben. Zur Stunde wurden die Tageszeitungen an den Berliner Frühstückstischen oder von den Berufspendlern gelesen. »Warum ruft niemand an?«
    »Es rufen bestimmt viele Leute an. Aber«, Alans Hand tauchte neben ihrem Gesicht auf, »die Polizei wird alle Hinweise erst mal überprüfen, bevor sie uns Bescheid gibt. Und so etwas dauert. Wir müssen Geduld haben.«
    Anna fröstelte es in der klammen Kleidung. »Geduld?« Sie lachte hoffnungslos.
    Seine Finger streichelten ihre Wange, und Anna ließ es zu. Sie war viel zu erschöpft, als dass sie sich dagegen hätte wehren können, und sie musste zugeben, dass das warme Gefühl, das ihren Körper durchströmte, ihr guttat. Es entspannte ihre Nerven, nur ein wenig, aber gerade genug, um sie wieder eindämmern zu lassen.
    Ein Geräusch von der Straße riss sie aus dem Schlummer.
Du darfst nicht schlafen
,
tadelte sie sich.
Was ist
,
wenn sich jemand meldet
,
der Manuel gesehen hat?
Es fiel ihr schwer, sich gegen die Erschöpfung aufzulehnen. Sie hatte keine Kraft mehr, und auch der Mut verließ sie, von Stunde zu Stunde mehr. Sie musste dagegen ankämpfen.
Du darfst nicht resignieren! Manuel lebt! Er wird heimkehren! Das weißt du!
Sie schob sich näher an Alan heran, umarmte seinen Bauch und spürte seine Muskeln und die Kraft, die in ihnen steckte.
    »Du solltest versuchen, noch etwas Schlaf zu finden«, flüsterte er.
    »Ich kann«, sie presste sich enger an ihn, »nein, ich will nicht schlafen.«
    Die Wärme, die seinen Körper umgab, liebkoste sie wie sanfte Hände, und für einen Moment erlaubte sie es ihrem Verstand, sich fallen zu lassen.
Alan ist bei dir. Alles wird gut.
Sie schmiegte sich noch dichter an ihn und genoss es, sich geborgen zu fühlen. Zum ersten Mal seit langer Zeit.
Wie sehr ich das vermisst habe!
Es tat so gut, dass er bei ihr war. Sie spürte die Stärke, die von ihm in ihren Körper strömte. Sie würde wieder Kraft und Geduld haben – sie würde so lange durchhalten, bis sie Manuel wieder in ihre Arme schließen konnte.
Ja
,
das werde ich!
Sie drehte ihren Kopf, um zu Alan aufzuschauen. Dabei streifte ihre Nase sein Kinn. Er nickte, als würde er ihre Gedanken kennen. Sie war ihm so dankbar für seine Anwesenheit. Ohne es geplant zu haben, fanden ihre Lippen seinen Mund. Sie drängte sich ihm entgegen, fuhr mit der Hand durch sein Haar. Sie wollte ihn an sich ziehen, ihm nahe sein, noch mehr von seiner schier unendlichen Kraft, seiner Hilfe und seiner Güte in sich aufsaugen.
    Sanft stieß er sie von sich fort. »Nein!«
    Als hätte sie sich an ihm verbrannt, zuckte ihr Körper zurück.
    »Ich kann das nicht«, sagte er leise.
    Anna war durcheinander.
    »Manuel wird vermisst, und wir … wir …«
    Augenblicklich wurde Anna wieder von Schuldgefühlen überwältigt.
Wie kannst du mit ihm rummachen
,
während dein Sohn irgendwo dort draußen im Schnee herumirrt oder … noch Schlimmeres.
Sie rutschte aus dem Bett und schlich sich wie ein geprügelter Hund ins Badezimmer. Dort ließ sie kaltes Wasser über ihren Kopf laufen, aber auch das beruhigte sie kaum. Vielleicht sollte sie doch unter die Dusche steigen? Wie lange war es her, dass sie sich das letzte Mal gewaschen hatte?
Dafür ist später Zeit!
Jetzt brauchte sie eine Zigarette.
    Die Gauloises im Wohnzimmer waren leer. Sie tastete Alans Jacke an der Garderobe nach seiner Schachtel ab. In einer Tasche spürte sie ein Loch im Stoff, in der anderen fühlte sie einen festen Widerstand. Aber als sie danach griff, hatte sie statt einer Packung Kippen eine Schachtel Tabletten in der Hand. Ritalin – Zentralnervöses Stimulans. Sie ging zurück ins Schlafzimmer.
»Alan, was ist das?«
    Er knipste das Licht auf dem Nachtschränkchen an. »Was?«
    »Dieses Medikament

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