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Trieb

Trieb

Titel: Trieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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rettende Engel … Moment mal, was hatte Öndar gerade gesagt?
Wir sind hier zu Hause. Das ist unser Viertel.
»Was wisst ihr über die Schillerpromenade?«
    »Was sollen wir darüber wissen?«
    Wenn ich die Frage nur selbst beantworten könnte.
»Etwas über seltsame Geschäfte mit Gammelfleisch, die hier in einer Wohnung getätigt wurden.«
    »Gammelfleisch?«
    »Oder so.« Das war freilich keine hilfreiche Auskunft.
    »Nee, davon wissen wir nichts.«
    »Kennt ihr einen Rudolph Fielmeister? Oder Jan-Sönken Schulze? Ist euch einer der beiden schon mal über den Weg gelaufen?«
    Keiner der Jungen fühlte sich zu einer Antwort bemüßigt.
    »Also, was ist? Kanntet ihr sie oder nicht?«
    »Nee, nie gehört«, sagte Öndar schließlich.
    Sackowitz klopfte sich den Schnee von seinen Klamotten.
Wäre auch zu schön gewesen.
Enttäuscht lief er zu seinem Wagen zurück.
    »Sollen wir dich irgendwo hinbringen?«, erbot sich Öndar.
    »Danke, bin selbst mit dem Auto da.«
    »Dann begleiten wir dich. Wohin willst du?«
    Eine gute Frage
,
aber richtigerweise müsste sie heißen: Wohin kann ich noch?
Wo war er in Sicherheit? Wem konnte er vertrauen? »Lasst uns zum Verlag fahren. Ich muss mit meinem Chef reden.«
    »Chef ist immer gut«, meinte Öndar grinsend.
    Sackowitz war sich da nicht so sicher.

128
    Krachend fiel die Wohnungstür hinter Ludwig ins Schloss. Der Kuchen zerbröselte zwischen Taboris Fingern. Er stopfte die Krümel in den Mund. Sie schmeckten süß und trocken. Staubtrocken. Er zwang sich, sie zu schlucken.
    Aus den kleinen Lautsprechern des neuen Radios wummerte noch immer Rockmusik. Sie war laut, lärmig und nervig und erinnerte ihn mit jedem Ton an Ludwig, sein plumpes Rumgehampel, seinen Körper, der …
    »Nein!«
    Tabori schnappte sich das Radio und schleuderte es in hohem Bogen zum Küchenfenster hinaus. Die Musik wurde leiser, noch leiser – dann zerbarst das Gerät auf dem Asphalt. Das Scheppern tat dem Jungen gut.
    Seine Wut wurde von der einkehrenden Stille der Wohnung verschlungen. Übrig blieb nur Verwirrung. Was hatte er getan? Tabori schaute aus dem Fenster. Unten auf dem Gehsteig lag das Radio in tausend Einzelteilen. Er hatte Ludwigs Geschenk zerstört. Warum? Er konnte es sich nicht erklären. Er hatte es einfach nur kaputt machen wollen. Aber besser fühlte er sich trotzdem nicht.
    Er schloss das Fenster und rannte in Fritz’ Zimmer, um sich mit der PlayStation
abzulenken. Er spielte eine Weile
Street Soccer
,
doch es langweilte ihn nur. Er stöberte in den anderen Spielen herum und entschied sich für
Race Driver
. In der nächsten Stunde lernte er, wie das Rennauto mit dem Gamepad zu steuern war. Runde um Runde raste er den Wagen zu Schrott. Das machte Spaß.
    Als er müde wurde, ging er ins Bad und seifte sich unter der Dusche ein. Das heiße Wasser tat gut. Nach einer Viertelstunde war das Badezimmer voller Dampf. Tabori konnte kaum noch die Hand vor Augen sehen. Seinen eigenen Körper spürte er kaum noch, so heiß war das Wasser. Während er sich abtrocknete, lichtete sich der Nebel. Seine Haut war sauber, und er verspürte nur noch ein dumpfes Unwohlsein. Wie im Traum schien die letzte Nacht weit entfernt zu liegen und unwirklich. Ein schlechter Traum.
    Er zwickte sich in den Unterarm. Es tat nicht weh. Er kniff fester zu und freute sich über den Schmerz, der ihn durchfuhr. Echter Schmerz.
    Während er das Kapuzenhemd mit dem Berlin-Schriftzug und die Jogginghose anzog, beschloss er, den Alptraum zu vergessen. Er würde nur das in Erinnerung behalten, was wirklich wichtig war: Ludwig war der einzige Freund, den Tabori in Berlin hatte. Er war nett, und er sorgte sich um ihn. Das war doch etwas Gutes, oder?
    Vielleicht hatte Tabori sich in der letzten Nacht tatsächlich auch nur dumm angestellt, wie Ludwig es gesagt hatte? So wie beim Erbrechen, als er es nicht bis zur Kloschüssel geschafft hatte. Wie peinlich ihm das gewesen war, aber Ludwig hatte kein böses Wort darüber verloren. Er war einfach nur für Tabori da gewesen.
    Und wie hatte er, Tabori, darauf reagiert? Wie ein kleines Kind hatte er zu heulen begonnen. Er hatte abhauen wollen. Und dann hatte er auch noch Ludwigs Geschenk, das Radio, zerstört. Er war ungerecht und undankbar. Ludwig würde traurig sein, denn er würde schließlich niemals etwas tun, das Tabori traurig machte. Dessen war sich Tabori sicher.
    Er ging wieder in Fritz’ Zimmer. Draußen vor dem Fenster begann es erneut zu schneien. Jetzt war er

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