Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
Malen als eine andere Form der Meditation. Ist er begabt, kann er damit seinen Lebensunterhalt bestreiten. Der Kunstmarkt interessiert sich seit gewisser Zeit dafür.
Er hat sich als Laie in Japan ordinieren lassen, die »fünf Grundregeln« sind für ihn bindend. Täglich. Trotzdem, die zehn Tage haben ihn erschöpft. Keine Rede von immer »da« sein und immer bewusst atmen. Ein paar hundert Gedanken kreisten um seine (fragile) finanzielle Situation, um Möglichkeiten, diesen unguten Zustand zu ändern. Sex-Fantasien, natürlich frage ich danach, kamen auch. Doch drängten sie weniger heftig. Er hat, sagt er, tatsächlich gelernt, mit ihnen umzugehen. Er verhält sich dann nicht anders, als wenn er auf der Straße einer begehrenswerten Frau begegnet: Er schaut hin, observiert seine Reaktion, lässt aber keine »Nähe« entstehen, kein Verlangen, keine – ach, du Glücklicher – Abhängigkeit.
Ethan, der Australier, radelt seit eineinhalb Jahren durch Asien. Mit schmalen Schultern und Lance-Amstrong-Waden. Auch suchend. Seit der studierte Ingenieur herausgefunden hat, dass er nichts mehr konstruieren will, das er für »unnötig, meist hässlich und oft nur dem Profit dienlich« hält. Die zehn Tage brachten Klarheit: Er wird nochmals an die Universität zurückkehren. Um Lehrer zu werden.
Man kann ihn nur anfeuern. Das wäre immerhin der wichtigste Beruf: Kindern vom Reichtum der Welt zu erzählen, ihre Neugierde zu entfesseln, sie zu begeistern für ein »anderes Leben als das meiner Eltern«. Die im australischen Häuschen sitzen und, so Ethan, »gnädigerweise versäumt haben, aufzuwachen«. Der 37-Jährige kann reden. Hammerhart und ohne Schnörkel. Dafür ist gewiss Vipassana verantwortlich, mitverantwortlich. Man verliert das Talent zum Schwallen, zum Formulieren dubioser Ausreden. Sprache wird nicht mehr als Weichzeichner verwendet, sondern als Vergrößerungsglas.
Ich frage ihn, was er gerade liest. Und Ethan (noch ein Heimlich-Leser) zieht diskret unter der Matratze ein Buch mit dem Titel »Indian Travel Diary of a Philosopher« heraus, die indischen Tagebuch-Aufzeichnungen von Hermann Graf Keyserling. Deutscher Schriftsteller, ein Zeitgenosse Stefan Zweigs. Ich finde eine Stelle, die der Marathon-Radler dick und rot unterstrichen hat: »Der Impuls, der mich in die weite Welt treibt, ist genau derselbe, der so viele ins Kloster treibt: die Sehnsucht nach Selbstverwirklichung.« Da steht es wieder, das magische Wort, der magische Bestimmungsort. Wobei es ja noch einen dritten Weg gibt, den wohl auch Ethan geht: (Viel) Welt und (bisweilen) Kloster. Nur »außen« oder nur »innen«? Irgendetwas fehlte da.
Der Ex-Dipl.-Ing. verfügt über Humor, sagt noch: »Ich hatte noch nie so viel Sex wie in diesen zehn Tagen.« Wir beide wissen, was er meint: So viel Hirnsex. Das ist jener Sex, der immer dann – als virtueller Quälgeist – auftaucht, wenn er nicht stattfindet.
An den Schweizer und den Japaner, die beiden Vipassana-Götter, komme ich nicht ran. Sie haben ihre Türen verriegelt und – meditieren. Ihr Motto, noch immer: Hier sitze ich und kann nicht anders! Sie haben die Welt möglicherweise schon hinter sich. Sie wollen in ihr Innerstes. Da, so reden die Initiierten, kann man von allem leichten Herzens Abschied nehmen. Wir anderen sind noch nicht soweit, wohl nie soweit. Sind noch immer heillos verliebt in die Oberflächen der Welt.
Die meisten Inder kann ich nur anlächeln und grüßen. Mehr Kommunikation geht nicht. Weil wir keine gemeinsame Sprache haben. Über Umwege ist zu erfahren, dass sie andere Gründe motivieren als die Westler. Sie kommen hierher, oft mehrmals pro Jahr, um sich zu »zentrieren«. Sie bringen keine schwerwiegenden Wünsche mit, sind eher gekommen, um Abstand zu ihrem Alltag zu gewinnen. Um sich – ganz unwestlich – auf ein Alter vorzubereiten, in dem sie den Abstand als endgültige Lebensform etablieren. Und ihr Heim verlassen, um woanders zu leben. Mit Mönchen in einer Gemeinschaft, in einer Waldsiedlung mit Gleichgesinnten, allein irgendwo im Himalaya. Nur immer weit weg vom Getriebe ihres bisherigen Lebens.
Doch ich finde zwei junge Inder, die ein wenig Englisch sprechen. Chitto gehört den Nocte an, einer Ethnie in Arunachal Pradesh, dem östlichsten Bundesstaat. In den letzten Jahren kamen sie wegen »Terroranschlägen« ins Gerede. Ein paar Irrlichter fordern die Unabhängigkeit von Neu-Delhi.
Der »Economics«-Student fordert ähnlich Unmögliches: eine
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