Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
verursacht. Ich mag die Parabel, sie trifft mich. Mitunter bin ich dieser Mann, der nicht loslassen will. Und ums Prinzip kämpft. Und sei es trivial, nur eitel und nie einen Kampf wert.
Dem Ende zu schwächelt Goenka dann doch noch. Ohne eine kleine Festrede auf Nibbana und »totally clean« will er uns nicht entlassen. Ich schmunzle wieder gnädig mit dem Inder, der uns alle, mich allemal, schwer überschätzt. Das Ego dimmen, gern. Aber das Ego wegdimmen, nie. Das wäre, als forderte mich mein Verleger in der nächsten Mail auf, in Zukunft wie Shakespeare zu schreiben. Shakespeare oder kein Vertrag. Nein, der Vergleich hinkt. Zaubern lernen wie das englische Genie ist wohl noch unmöglicher als ein Super-Ego einzustampfen. Ich sehe es schon kommen, ich werde enden wie die meisten von uns: Ohne Genie und noch immer geschlagen mit Träumen, Sehnsüchten und der Lust, ab und zu Recht zu haben.
Bizarrerweise fällt mir in der Zelle, nach der gemeinsamen Schlussmeditation, ein Mann ein, den ich im Gefängnis von Philadelphia getroffen habe. Das Kaff – nicht zu verwechseln mit dem berühmten, großen Philadelphia – liegt in Mississippi. Ein paar Kilometer außerhalb der Ortschaft wurden am 21. Juni 1964 drei Bürgerrechtskämpfer vom Ku Klux Klan hingerichtet und verscharrt. Regisseur Alan Parker hat über den Fememord und die Untersuchungen des FBI den Film »Mississippi Burning« gedreht. Jahrzehnte später kam ich als Reporter, um über den Stand der Dinge zu berichten. Das Kaff war noch immer ein Kaff und die Mehrheit der Schuldigen lief noch immer frei herum. Und der Ku Klux Klan hasste noch immer die »Niggers« (wenn auch diskreter, das schon).
Der Sheriff mochte mich, warum auch immer. So konnte ich eine Nacht mit Richard S., einem jungen Officer, auf Streife mitfahren. Das Übliche. Betrunkene Männer verprügeln betrunkene Frauen, Spurensuche nach einer gemeldeten Vergewaltigung, ein Spanner (»Peeping Tom«) soll unterwegs sein, wir verfolgen zwei Raser, der Manager von McDonald’s bekommt Begleitschutz, als er die Tageseinnahmen zum Banksafe bringt (im Gegenzug freie Kost für die Ordnungshüter), eine Rauferei in einem Laden wird geschlichtet. Und Pornos aus der Videothek geholt. Die Sexfilme gehen ebenfalls kostenfrei über die Theke. Auch die Polizei muss sich entspannen. Von Korruption spricht hier keiner, eher von guter Nachbarschaft. Richard sucht den Dreiteiler »Caught from behind« aus.
Morgens um drei Uhr früh fahren wir zu den sechs Zellen zurück, dem Dorfzuchthaus hinter dem Police Department . Schmierige Wände, vollgekritzelt (»Born to be dead«), leicht überfüllt, augenblicklich 27 Insassen. Darunter Terence N., der Mörder. Ihn werde ich nicht vergessen. Nicht, weil er seine Lebensgefährtin getötet hatte (es war Mord, kein Eifersuchts-Totschlag), sondern weil er vollkommen einverstanden war mit seiner (höchstwahrscheinlichen) Zukunft: der Giftspritze.
Wir saßen uns auf zwei Pritschen gegenüber und redeten, Terence war schwarz, seine Aussicht auf ein milderes Urteil schien somit noch geringer. Doch der 38-Jährige blieb gefasst. Seine Augen waren klar (kein Koks), sein Atem sauber (kein Alkohol), seine Unterarme ohne Einstiche. Unsinnigerweise fragte ich ihn, ob er meditiere. Natürlich nicht, er kannte das Wort nicht einmal. Was dann? Nun, der Lastwagen-Fahrer redete vom »Gottessohn«, den er entdeckt und dem er sich »ergeben« habe. »Als Mörder habe ich getötet, aber als gläubigem Menschen hat mir Jesus verziehen.«
Der Satz klingt mir zu raffiniert, als dass er zu dem Häftling passen würde. Vielleicht hat er ihn vom Zuchthaus-Pfaffen, der gerade seine Runde beendete, als Richard und ich eintraten. Jedenfalls ein abschüssiger Satz. Ich begreife schlagartig, wieder einmal, welche Macht der Glauben hat. Ein »Vermögen«, zu dem Vipassana nie fähig wäre. Keine Atemtechnik der Welt vergibt dir den gewaltsamen Tod eines Menschen. Terence rettete die wahnwitzige Vorstellung, dass ihn irgendein himmlisches Phantom von seinem Verbrechen freispricht. Nicht, dass er die Mutter des Opfers um Nachsicht gebeten hätte. Vom Vergebungswillen der Toten, hätte sie noch einen, gar nicht zu reden. Der »Herr der Herrlichkeit« hat dem Messerstecher vergeben. Basta. Und seine Schuldgefühle gelöscht. Man fragt sich, was schwerer wiegt. Die bodenlose Dummheit oder die bodenlose Frechheit? Doch am erstaunlichsten: Was Gehirnwäsche alles vermag. Oder ist der Begriff in sich
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