Trinken hilft
Monat einen Blumenstrauß schenke und viermal pro Jahr Ohrringe. Dafür müsse man nicht zusammen wohnen, verriet er uns weiter, denn die morgendlichen Barthaare im Waschbecken stellten ein 70-prozentiges Trennungsrisiko dar.
»Was? Nur zweimal pro Woche über Nacht …?« An dieser Stelle musste ich Rosis Erzählung unterbrechen. Die Drohung schien mir grausam. Jetzt, seit ich Durstiger mich an ihr zu berauschen gelernt hatte, mein Glück von ihren Grübchen gespeist wurde … jetzt sollte ich diese Droge nur zweimal die Woche kosten? »Das kannst du mir nicht antun«, flehte ich. »Ich bin doch nicht Luther. Ich bin Atheist. Ich bete dich an«, entschlüpfte es mir, dann verstummte ich. So eine Liebeserklärung hatte ich noch nie gemacht. Das sah mir gar nicht ähnlich. So etwas kannte ich nur aus Filmen, und da fand ich es kitschig. Ich rutschte verlegen auf meinem Stuhl hin und her.
Rosi ließ ihre Grübchen spielen und nahm meinen Kopf zwischen ihre Hände. »Du bist süß«, flüsterte sie ganz nah an meinem Mund, und ich flüsterte zurück: »Ich bin nicht süß, ich bin verliebt. Ich will jede Nacht mit dir …«
»Ich auch. Sei unbesorgt. Wir werden unsere eigene Statistik aufstellen.«
Und schon kehrte Rosi wieder zur Geschichte ihrer Familie zurück:
In Hinblick auf meine Mutter hatte mein Vater wahrscheinlich sogar recht, denn sie schleppte nie mehr einen Gentleman mit herbem Rasierwasser an. Papa roch nach Grillkohle und Natur, seit er bei seinem Konzern gekündigt hatte und ganz in den Wohnwagen zog. Er sagte, wer sich mit Zahlen auskenne wie er, habe es nicht nötig, einem Konzern zu dienen. Der könne sein Wissen auch selbst vermarkten. Und außerdem sei das Büro ein lebensgefährlicher Ort. Zu viele ließen ihr Leben dort, die Infarkt-Statistiken bewiesen es. Von was er lebte? So genau wusste das keiner. Hin und wieder saß er vor seinem Laptop und holte sich über Internet Zahlen mit Dollarzeichen heran. Hin und wieder entfuhr ihm dabei ein teuflisches Lachen: »Euch krieg ich!«, hörte man ihn Selbstgespräche führen.
»Wen kriegst du?«, fragten wir ihn.
Er deutete auf seinen Bildschirm. »In diesem kleinen Apparat ist alles drin, Kinder, die ganze Welt. Diamanten aus Afrika, Gold aus Südamerika und jede Menge Kleingeld. Mit sieben wollte ich Schatzsucher werden. Ich dachte, man müsse dafür nach Mexiko. Gar nicht nötig. Man braucht bloß eine Steckdose und Grips. Also lernt fleißig!«
Ich bin mir nicht sicher, ob er uns nicht einen Bären aufgebunden hat, nur um uns zum Lernen anzutreiben. Florian und ich jedenfalls haben in den Isarauen, unserem Mexiko, auch ohne Steckdose so manchen Schatz gefunden. Ein Kofferradio, eine goldene Armbanduhr, eine volle Brieftasche und ein angeschwemmtes Schlauchboot. Mit Mexiko könnte Papa also recht gehabt haben. Aber sonst machte er nicht den Eindruck eines emsigen Schatzsuchers. Eher den eines Faulenzers. Die meiste Zeit verbrachte er am Fluss und hängte die Angel ins Wasser. Wenn er etwas fing, war eine Fete fällig. Dann durften wir alle unsere Freunde mitbringen. Seine Feten waren ein Geheimtipp unter meinesgleichen. Besser als alles, was München sonst zu bieten hatte.
Manchmal beneidete Melanie mich damals, als wir Schüler waren. Seitdem ist viel Wasser die Isar hinabgeflossen. Wir trafen uns nur noch selten. Wenn doch, dann auf ein Weißwurstfrühstück im Schneiderbräu. Meist um die Weihnachtszeit, wenn sie ihre alt gewordenen Eltern in München besuchte.
»Geht es deinem Vater besser?«, erkundigte sie sich jedes Mal nach ihm. Sie ist eine treue Seele, sie hat nie vergessen, wie großzügig er ihr seinen Wohnwagen zur Verfügung gestellt hat, wenn sie damals als Siebzehnjährige mit ihrem langhaarigen Freund, den ihre Eltern ablehnten, einen Unterschlupf brauchte.
»Nein, es geht ihm nicht besser, es ist ein Elend«, antwortete ich ihr dann und spülte meinen Kummer mit einem kräftigen Schluck Hefeweizen hinunter.
Nach dem Abitur, als ich für ein freiwilliges soziales Jahr nach Mexiko ging, fing die Misere an. Vater und ich hielten uns schriftlich auf dem Laufenden, und so erfuhr ich, dass er Probleme mit dem Knie hatte. »Geh zum Arzt«, schrieb ich ihm, doch davon wollte er nichts wissen. Seit er aus dem Arbeitsleben ausgestiegen war, zahlte er auch keine Krankenkassenbeiträge mehr ein. Das sei nicht nötig, argumentierte er gegenüber Mutter, er lebe nun in Freiheit am Busen der Natur, und da werde man nicht krank. Krank
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