Tristan
oft nicht verbergen. Nachts jedoch war er ein anderer Mensch. Das Glück, das ihn in der Gemeinsamkeit mit Floräte überkam, bewirkte, dass er kaum eine Gelegenheit ausließ, um bei ihr zu liegen und sich einer Lust hinzugeben, die ihn gedankenlos machte. So zeugte er, ohne es zu ahnen, in seiner grenzenlos unschuldigen Treue seinen nächsten, seinen ersten Sohn, der jedoch immer sein zweiter blieb.
Floräte liebte ihren Mann in dieser Zeit über alles, als wollte sie sich entschädigen für das empfangene Leid, wollte das Unglück, das ihrer Herrin widerfahren war, wiedergutmachen. Wenn Rual sie mit den ersten Sonnenstrahlen verließ, dann wehklagte und weinte sie vor Sehnsucht nach ihm, jammerte so laut, dass die Wachen und die Dienerschaft glaubten, es stände ihr eine schwere Geburt bevor. Elbeth schirmte sie ab, rannte eilig nach draußen, befahl, neue Tücher zu holen, warmes Wasser zu bringen und stärkende Brühe. Sie verlangte Salben, schickte ein um das andere Mal nach dem Medicus, wies ihn aber an der Türschwelle wieder ab, um die Täuschung noch dramatischer und glaubwürdiger zu machen. In ein paar Tagen, verhieß sie den Leuten, würde die Marschallin ihr erstes Kind zur Welt bringen, allein, das sei ihr Wunsch.
Dann kam dieser Tag. Elbeth und Floräte hatten sich beraten. Kurz nach Mitternacht sollte es geschehen. Weil Rual jedoch früher als erwartet von seinem Ausritt zurückkam und liebend bei seiner Frau lag, bis der Mond schon wieder unterging, und weil Floräte bei ihrer letzten wilden, heftigen Umarmung einen derart durchdringenden Schrei des Glücks hervorstieß, dass Elbeth, die in einer Ecke des Zimmers bei der Wiege Tristans saß, sich die Ohren zuhielt, wurde Tristans Geburt erst am frühen Morgen verkündet. Scheinbar froh über das neue Erdenkind riss Rual die Tür auf und rief: »Mein Sohn ist eben geboren. Er soll Tristan heißen. Hört es alle, Tristan, mein Sohn ist geboren! Morgen feiern wir ein Wiegenfest!«
Die Taufe ~7~ Das Schwert
So geschah es, dass Tristan als Sohn des Marschalls Rual von Conoêl und Floräte, seiner Frau, der Marschallin, sechs Wochen, nachdem ihn seine wahre Mutter Blancheflur geboren hatte und dabei selbst den Tod fand, noch einmal zur Welt kam und wegen der so verborgenen Herkunft vor der Rachsucht Morgans gegen die Herrscher Parmeniens geschützt war. Die Taufe wurde feierlich in der kleinen Kirche von Conoêl begangen. Heimlich wurde dem Kind ein kurzes Schwert in seine Wiege gelegt, um zu zeigen, welche Aufgabe Tristan beschieden wäre. Von der Kraft, die das Schwert entfalten sollte, wussten nur Rual und Floräte, denn einst würde der junge Herr seinen Vater und seine Mutter rächen und Morgan den Kopf abschlagen. Das war gewiss. Ebenso gewiss war, dass der Königssohn, auch wenn er von seiner rechtlichen Herkunft wohl nie etwas erfahren würde, die allerbeste Erziehung genießen sollte. Rual hatte es Floräte geschworen, und Floräte hatte Elbeth, die einzige Mitwisserin, zur Seite genommen und beim seligen Andenken ihrer Mutter geschworen, ihr eigenhändig die Zunge aus dem Hals zu schneiden, würde sie nur ein Sterbenswörtchen des Geheimnisses preisgeben. Selbst wenn Elbeth aus Zorn oder Wut über ihre Herren damit drohen sollte, wäre dies allein schon Grund genug, sie mit dem Fluch ewiger Stummheit zu belegen. Elbeth hatte sich bei dieser unmissverständlichen Rede ihrer Herrin mehrmals bekreuzigt und das Knie auf den verschmierten steinernen Boden gesenkt, als wäre das Urteil schon gesprochen.
Vier Jahre später ~8~ Elbeths Wortbruch
Vier Jahre, länger nicht, aber immerhin vier lange Jahre hielt es Elbeth aus, das Geheimnis für sich zu behalten. Tristan wuchs heran, klammerte sich an ihren Rock, aß von ihrer Schüssel, lernte sprechen aus ihrem Mund, als wären ihre Worte in den seinen geflossen und sprudelten dort wieder hinaus, vermischt mit anderen Wörtern aus anderen Quellen, von Besuchern, die von weit her kamen. Schon bald merkten Floräte und Rual, dass Tristan mit den Sprachen umging wie mit einem Spielzeug, das er geschickt in seinen Händen drehte. Er ahmte die Laute nach, und alle glaubten, er würde sie sofort verstehen. Das einzig Seltsame war, dass Tristan immer nur von sich in der dritten Person sprach. Nicht ein Mal hatte er bislang die Worte »ich«, »mich« oder »mein« gebraucht. Doch die Eltern, die Verwandten und die Mägde beurteilten diese Manier als eine kindliche Marotte, die vorübergehen
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