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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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entgegenzueilen, dorthin, wo ihre Boote lagen, als Morgan den feindlichen Speer aus der Brust des Toten riss und sein Pferd gegen den Angreifer lenkte. Das sahen seine Soldaten. Sie sahen, wie ihr Fürst den Speer in den tiefen schwarzen Himmel schleuderte, wie der Speer sich im Flug senkte und Riwalin nur um Armeslänge verfehlte. Zugleich begann es zu regnen, erst leicht, dann immer heftiger, bis der Regen in dichten Schwaden über die Dünen fegte. Riwalin befahl sofort den Rückzug - befahl ihn zu spät. Seine Mannen waren schon zu weit zum Meer hingestürmt, der Regen verschluckte seine Worte, und so geriet Riwalin wegen seiner Ungeduld selbst in die Falle, in die er den Feind hatte locken wollen. Nicht Morgan verlor auf dem glitschig und tief gewordenen sandigen Boden der Dünen, die er hatte heraufstürmen sollen, den Halt, sondern Riwalins Soldaten. Hilflos rutschten sie den aufgestellten Lanzen des Feindes entgegen. Indem Riwalin erkannte, wie sich Gott und Natur gegen ihn kehrten, schrie er verzweifelt: »Rual! Gib das Contrasignal!«
    Da geschah es: Wie aus dem Nichts auftauchend war Morgan plötzlich an Riwalins Seite, die Pferde drehten sich umeinander wie bei einer ritterlichen tour, sandiger Schlamm spritzte auf, und Morgan schlug zu.
     
    Der Tod ~4~ Die Einigung
     
    So sah Marschall Rual seinen Herrn sterben. Er hörte noch den erstickten Hilferuf des tödlich Verwundeten. Morgan drückte die Helmklappe nach oben bis über die Augen und riss den Mund zu hasserfülltem Lachen auf. Rual, der Getreue, sprang von seinem Pferd, wollte zuerst den nach vorn kippenden Körper seines Königs auffangen, besann sich aber, dass er dort nicht mehr helfen und nichts mehr retten konnte, und gab seiner Wut nach. Er zog sein Schwert und ging auf Morgan los. Dabei schrie er, um sich Mut zu machen, und sah, wie Morgan mit seinem Pferd zurückwich. Aber Morgan floh nicht, sondern hielt plötzlich eine Lanze im Anschlag, wie um Rual damit einen tödlichen Stoß zu versetzen. Doch er bedrohte ihn nur, als wäre der Marschall ein bissiger Hund, den man von sich fernhalten muss. Feindliche Reiter stürmten herbei, und Morgan gab ihnen Befehle, ohne Rual aus den Augen zu lassen. Erst als Rual seine aussichtslose Lage erkannte und das Schwert senkte, hob Morgan die Lanze und rief: »Es ist vorbei, Parmenier!«
    Dass Riwalin, der König von Parmenien, durch Morgans Schwerthieb den Tod gefunden hatte, verbreitete sich im Land wie ein Lauffeuer. Zugleich wussten alle, dass sie nun noch mehr unter Morgans Willkür und maßlosen Forderungen würden leiden müssen. Schnell hatte er nach Riwalins Tod in den von Rual angebotenen Frieden eingewilligt, um die Ziegen, wie er die Parmenier nannte, zu verschonen und sie bis auf den letzten Tropfen leer zu melken. Morgan war ein Drache, der an Fresssucht litt und nie genug bekam.
    Als man den Leichnam Riwalins auf eine Trage legte, unterzeichnete Rual das Abkommen mit Morgan über erhöhte Zinsforderungen. Er sagte kein Wort, warf den Federkiel auf den Tisch neben das Pergament, nahm sein Schwert und würdigte Morgan keines Blickes, als er das Zelt verließ. Obwohl er sich kaum noch auf dem Pferd halten konnte, ritt er nach Conoêl die Nacht hindurch, wechselte dreimal das Pferd und betete zu Gott, dass Blancheflur noch nichts vom Tod ihres Gatten erfahren hatte. Gleichzeitig flehte er, Riwalins Kind möge ein Sohn sein, der einst seinen Vater rächen und Morgan den Kopf abschlagen würde.
    In der Morgendämmerung erreichte er Conoêl und die Burg, stürmte die Treppe hinauf zur Kemenate, in der er Blancheflur wusste, und ahnte Böses, als er vor der Tür keine Wachen vorfand. Alles war still, totenstill, nur seinen eigenen hetzenden Atem konnte er hören. Kurz verharrte er vor der Tür und ordnete seine Kleider, dann klopfte er leise an.
     
    Ein zweites Leben ~5~ Tristan, sein Name
     
    Rual rann ein Schauder über den Rücken. Er kannte den Tonfall in der Stimme seiner Frau, wenn etwas Schlimmes geschehen war, ein unheilvolles Zittern lag darin.
    »Ich bin es«, sagte er beinahe flüsternd, »dein Mann.« Sofort öffnete sich die Tür, Rual trat einen Schritt vor, er sah Floräte, ihre verweinten Augen, und folgte ihrer entschlossenen Geste, schnell einzutreten. Gleich fiel die Tür hinter ihm wieder ins Schloss, und er blickte in den im Dämmerlicht des Morgengrauens und im Schimmer der Kerzen liegenden Raum. Auf dem großen Bett lag Blancheflur, die Pelze und Wolldecken waren

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