Tristan
würde. Man gewöhnte sich daran, dass Tristan sagte: »Tristan hat Hunger« oder »Tristan hat sich wehgetan«.
Floräte vermutete, dass diese Entwicklung mit der Geburt ihres ersten eigenen Sohnes zu tun hatte. Denn nach fast genau neun Monden nach Tristans Taufe gebar Floräte ihren - öffentlich so bezeichneten - zweiten Sohn, den sie nach einer Vorliebe dieser Zeit Edwin nannte, abgeleitet vom Namen eines englischen Königs. Floräte hatte von diesem König gehört, als norwegische Barden während ihrer Schwangerschaft Conoêl besuchten und Lieder sangen, so schön und in den Gefühlen so tief, dass sie sich schwor, sie niemals zu vergessen. Von Henn Halden, dem Werkmeister, ließ sie eine Wiege bauen, in der Tristan und Edwin Platz hatten und nebeneinander schlafen konnten. So wuchsen die beiden Knaben auf, als wären sie Zwillinge. Solange Floräte konnte, gab sie beiden die Milch aus ihrer Brust.
Nicht ganz drei Jahre war Tristan alt, als Floräte ihr drittes Kind - wie sie stolz hervorhob - »zur Welt brachte«, wieder einen Sohn, dem sie bei der Taufe den Namen Ludvik gab. Das war die Zeit, als Tristan ganze Sätze zu sprechen begann.
Weil Floräte sich nun mehr mit Edwin und Ludvik beschäftigen musste, Tristan aber nicht von ihrer Seite weichen wollte, drückte sie dem Jungen irgendwann einmal in ihrer Ungeduld ein Holzschwert in die Hand, woraufhin Tristan so geschickt zu fechten begann, als hätte er es schon längst geübt. Seine Bewegungen, wenn er etwa gegen ein Seil kämpfte, das vom Heuboden herabhing, waren zwar noch immer kindlich, aber von Tag zu Tag lernte er dazu, als würde ein Meister neben ihm stehen und ihn anleiten. Doch die Geschicklichkeit kam aus ihm selbst, und die Leute begannen sich immer mehr zu wundern. Als er schon so alt war, dass er beim Brunnen auf dem Hauptplatz der Burg mit den anderen Jungen focht und so heftig auf sie einschlug, dass es kein Spiel mehr zu sein schien, schritt Elbeth, die auf ihn aufpassen sollte, ein und nahm ihm das Holzschwert aus der Hand. Da wurde er wütend und trat mit den Füßen nach ihr. Seitdem schien es, seine Amme, die er doch so geliebt hatte, wäre für ihn unwichtig geworden. Er beachtete sie kaum noch oder machte sich vor anderen über sie lustig.
»Mehr als die Suppe warm halten kannst du nicht«, sagte er einmal zu Elbeth, verärgert darüber, dass er des Abends nicht mehr nach draußen durfte. »Du verstehst es nicht einmal, richtig zu sprechen. Schreiben kannst du schon gar nicht, nicht einmal nähen. Nur Feuer machen. Aber das hat auch Tristan längst gelernt, und ihm gelingt es inzwischen besser als dir. Was also willst du?«
Elbeth fühlte sich immer mehr zurückgestoßen. Sie schwieg, aber es stieg in ihr schon der Wille hoch, diesem undankbaren Knaben einmal zu verstehen zu geben, dass er froh sein konnte, überhaupt noch am Leben zu sein. Denn wenn Morgan wüsste, was sie wusste, hätte er längst seine Schlächter geschickt.
Ein Sonntag war es dann, ein verregneter Sonntag, als Tristan in der Burg bleiben musste und sich langweilte. Da vertrieb er sich die Zeit und löschte geschickt das Feuer unter Elbeths Herd. Keiner bemerkte etwas, nur kalt wurde es mit einem Mal im Raum, die Suppe hatte noch nicht angefangen zu kochen. Jetzt schwammen darin die Wurzeln, Kräuter und die Stücke vom Lamm herum wie Gehölz und totes Fleisch in einem verdreckten Teich. Floräte kam hinzu und begann, mit Elbeth zu schimpfen, warum sie und die beiden anderen Mägde das Feuer nicht entfacht hätten, als Elbeth sogleich ahnte, wer hinter der Missetat steckte, wütend wurde, mit den Armen fuchtelte und sagte: »Dieser Junge da, der sich in der Ecke bei der Tür versteckt hat und sich eins lacht, dieser Nichtsnutz, den Ihr Euren Sohn nennt und der es gar nicht…«
Weiter kam sie nicht. Floräte hatte blitzschnell den Eisenspatel aus der erkalteten Feuerstelle gezogen und hieb damit Elbeth gegen den Kopf. Ohnmächtig sank sie zu Boden.
Elbeth wird abgeführt ~9~ Das Buch »T«
Tristan erschrak zu Tode, als Elbeth wie ein lebloses Stück Vieh zu Boden stürzte. Das hatte er nicht gewollt. Er konnte doch nicht voraussehen, dass seine Mutter die Amme wegen eines gelöschten Feuers so streng bestrafte. Tränen traten ihm in die Augen. Zitternd verkroch er sich noch tiefer in seiner dunklen Ecke.
Floräte schien gar nicht nach ihm Ausschau zu halten. Durch den Raum schallten plötzlich Befehle, einige Leute der Burgwache kamen. »Weg mit
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