Tristan
ihr!«, hörte Tristan Floräte schreien, und: »In den Turm!«
Tristan sah gerade noch, wie zwei der Wachen Elbeth wegschleppten. Ihre Füße schleiften über den Boden. Floräte stand beim Herd und schrie nach Merla, einer der Mägde. Merla erschien nach einer Weile. »Mach das Feuer an, du Miststück!«, schnauzte Floräte sie an und verließ den Raum.
Tristan konnte nicht begreifen, was geschehen war. Als Merla sich am Feuer zu schaffen machte und erst einmal das nasse Reisig von der Stelle holte, schlich er sich davon und verbarg sich in dem Saal, in dem sich sonst die Ritter versammelten oder Gäste empfangen wurden. Es gab dort zwei große Tische. Auf einem lagen die Bücher, in denen die Mönche auf Geheiß Ruals Eintragungen machten. Das seien die Chroniken von Parmenien, hatte Rual Tristan einmal erklärt. Jetzt sahen die Bücher wie große schwere, eckige, steinharte Brotlaibe aus. Eines der Bücher aber war aufgeschlagen. Tristan rückte sich einen Schemel heran und schob eines der Öllämpchen neben das Buch. Was er nun sah, verzückte ihn so sehr, dass er alles zuvor Geschehene vergaß. Es war ihm, als würde er in ein Geheimnis blicken. Ohne lesen zu können, ahnte er, dass die Zeichen, auf die er blickte, für ihn bestimmt waren.
Plötzlich hörte er Schritte hinter sich. Er drehte sich um und sah seinen Vater Rual auf sich zukommen.
»Was suchst du hier?«, fuhr Rual ihn mit ungewohnt barscher Stimme an. »Warum bist du nicht bei der Magd, um zu essen und dich dann zur Ruhe zu legen. Wer hat dir dieses Buch gegeben?«
Mit ein paar Schritten war er neben Tristan getreten und schlug das Buch zu. Jetzt sah der Junge, der erschrocken die Augen aufgerissen hatte, dass das Buch einen Einband aus rotem Leder hatte und in der Mitte ein Zeichen von blauer Farbe, das aussah wie ein Schwert ohne Griff. Er sah ein T.
»Tristan wollte das nicht«, murmelte der Junge, entschuldigte sich und floh vor seinem Vater, indem er ihm gehorchte. Schnell war er bei der großen Tür, die er immer nur mit Mühe aufstoßen konnte, dann lief er auf seinen nackten Füßen in das Essgemach, wo er in einem Erker seinen Schlafplatz hatte. Ihm knurrte der Magen, aber er verbot es sich, bei der Magd nach Essen zu verlangen. Als er unter seiner Decke lag, sah er vor seinen Augen noch einmal das nasse Reisig in seinen Händen, das verlöschende Feuer, Elbeths Ratlosigkeit, als Floräte ihr Vorwürfe machte, er sah sich fliehen und das Buch, von dem er glaubte, dass es für ihn allein so aufgeschlagen dagelegen hatte. Und dann war der Vater gekommen und hatte es vor ihm so fest zugeschlagen, als könnte es nie wieder geöffnet werden.
Geschrei, Verstummen ~10~ »Ich«
Am nächsten Morgen erwachte Tristan von lautem Geschrei. Zuerst, noch l nicht ganz bei sich, dachte er, es ginge ums Essen. Er wühlte sich aus den Decken, schob den Vorhang vor seiner Schlafecke zur Seite und schaute verschlafen zum Feuerplatz. Dort war nichts, die Feuerstelle war kalt, der Raum lag im morgendlichen Dämmerlicht, das durch die kleinen Fenster drang. »Elbeth«, hörte er, immer wieder den Namen »Elbeth«, und dann Florätes Stimme: »Ich musste es tun!«
»Wie konntest du nur?!« Das war jetzt Rual. Die Tür wurde geöffnet. Floräte stürmte herein, gefolgt von Rual, beide in ihren langen grauen Nachthemden, Floräte mit unbedecktem Haar. »Ich habe ihr geschworen«, rief sie laut und brach in Tränen aus, »dass ich es eigenhändig tun würde, ich …« Die weiteren Worte wurden von ihrem Schluchzen erstickt.
»Sei still, hör auf!«, sagte Rual mit unterdrückter Stimme. »Der Junge.«
Wie ein Wiesel und plötzlich hellwach schlüpfte Tristan in sein Bett zurück, schloss mit aller Kraft seine Augen, um sich schlafend zu stellen, und hatte doch die Ohren so weit geöffnet wie eine Eule. Jeden Atemzug von Floräte und Rual hörte er und wusste genau, wo sie sich befanden, als sie endlich stehen blieben. Sie mussten bei der Kochstelle angekommen sein.
»Lass mich jetzt in Ruhe!«, zischelte Floräte und machte sich am Reisig zu schaffen, mit dem das Feuer angezündet wurde.
»Was machst du da?«, hörte er Rual erstaunt fragen. »Das macht doch die Magd.«
Das Rascheln hörte sofort auf. Eine kurze Zeit war Stille im Raum, sodass Tristan sein eigenes Atmen hören konnte und die Luft anhielt. Zugleich fürchtete er, sich erst recht zu verraten, wenn er danach umso lauter seinen Atem ausstoßen und womöglich dabei husten
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