Tropfen im Ozean
Es war still. Gott, endlich war es still.
Die Augen auf den Grund gerichtet, lief ich in diese Weite, fühlte den Sand, den meine Zehen aufwühlten, fühlte Aggression und Frust wie Fremdkörper in mir und wollte sie abschütteln wie zuvor den Arm des Buddys. Zwang mich, ein paar Mal tief ein und auszuatmen. Beruhigte mich langsam. Blickte endlich von meinen bleichen Füßen auf und blieb wie angewurzelt stehen.
Die Sonne... die Sonne... da war sie. Wie eine Verheißung brach sie durch den morgendlichen Dunst und schickte ein Feuerwerk an Strahlen und Wärme über den Horizont. Eine unirdische Kombination an Farben beleuchtete die Berge, warf Schatten, modellierte Wolken, versetzte die Gipfel in gleißendes Licht, schuf ein so faszinierendes Schauspiel, dass ich wie festgemeißelt stehen blieb und gebannt in den Himmel starrte.
Und da, da fühlte ich es wieder. Etwas Echtes, Ewiges. Etwas Großes. Die Instanz hinter diesem unglaublichen Schauspiel, die fantastische Kreativität, die uns jeden Tag einen einzigartigen, nicht wiederholbaren Sonnenauf und -untergang beschert. Die uns atmen, unser Herz schlagen lässt, Leben erschafft, Leben erhält, einschließlich meinem. Und die Antworten für mich haben musste.
Ich glaube, es war in diesen Sekunden, dass ich, wenn auch unterbewusst, beschloss, diese Instanz kennenlernen zu wollen.
***
Nach meiner Flucht aus dem Raum gaben mich die Buddys auf. Für die war ich untendurch – ein Gefühl, das ich nur zu gut kannte. Dennoch fühlte ich mich befreit. Nicht eine Sekunde glaubte ich, zu früh aufgegeben, sondern genau das Richtige getan zu haben.
Fasziniert beobachtete ich von meinem Liegestuhl aus, wie sich die ihr Heil suchenden Menschen in Gruppen trafen, um irgendwelche Aufgaben zu erfüllen. Ihr peinlichstes Erlebnis herausschreien. Die intimsten, traumatischsten Kindheitserinnerungen. Ziele und Vorhaben. Sie mussten den anderen erklären, warum sie fanden, dass sie gute Liebhaber seien. Oder warum sie fanden, dass sie es nicht seien. Menschen standen um den jeweiligen Outer im Kreis, damit er sich „geschützt“ fühlte, und die betreffende Person schrie ihre Sorgen und Wünsche heraus. Immer musste es laut sein. Sie übten den Urschrei - kauerten in der Embryonalstellung, richteten sich dann auf und brüllten. Sie schlugen sich an die Brust und schrien ihre Affirmationen gen Himmel. Manche mit geballter Faust, als ob sie Gott drohen wollten. Sie schrien, als sie über glühende Kohlen liefen und sich dann umarmten, weil sie es „geschafft“ hatten. Waren sie nun nach dieser Überwindung lebenstüchtigere und bessere Menschen?
Ich sah sie in einem riesigen Fackelzug durch die Umgebung ziehen, die Stille der unendlichen Wüste zerstörend, ihre Parole brüllend: „Nothing can stop me now! I am the best! I am the best! I leave my past behind!“
Gott, dachte ich an dieser Stelle, das kann es nicht sein. Aber was ist es dann? Was ist der Sinn? Was ist wahre Freude oder Glück? Also, Gott oder wie immer du heißt, bitte - schick mir jemanden, der Antworten hat. Einen, der Ahnung hat. Einen, den ich nicht in Frage stelle. Bitte. Gib mir ne Chance.“
I leave my past behind – genau das hatte ich vor. Wie, wusste ich nicht, aber auf jeden Fall ohne zu schreien.
Ausklang- Anfang
Die Tage nach meinem Ausbruch waren die schönsten des Seminars. Ich schlief aus – welch ein Segen! – frühstückte Berge an Obst, buttrigen Croissants und Kaffee, im Bewusstsein, echten Urlaub zu machen, während die anderen im Saal froren und schrien - und legte mich danach faul in die heiße, wohltuende Sonne. Tankte auf. Dachte nach. Dachte an diesen gigantischen Sonnenaufgang und was ich dabei gefühlt hatte. Das war mit Abstand das nachhaltigste Erlebnis dieses Seminars. Soviel war sicher.
Der Flug zurück war durchdrungen von vielen Gedanken, dem Gefühl, dass dennoch etwas Neues passiert war, ohne dass ich hätte definieren können, was.
Ich schlief viel während der Rückkehr, wollte weder Computer noch Handy checken. Das letzte Erlebnis war mir noch ungut in Erinnerung, es drängte mich nicht, nochmal das Gleiche erleben zu müssen.
Aber in ein paar Stunden würde ich wieder in meiner kleinen Studentenbude sitzen und spätestens dann musste ich wissen, was ich tun wollte.
Keine Eltern auf Band. Sie hatten gewusst, dass ich nach Amerika geflogen war. Sie wollten nicht wissen, wie es gewesen war. Ob ich gesund wieder zurück war. Ob ich
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