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Tropfen im Ozean

Tropfen im Ozean

Titel: Tropfen im Ozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Subina Giuletti
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sobald er eines gepackt hat, ist das der Ansporn für das nächste. Es ist erstaunlich. Keine Grübeleien, keine Sinnfragen, keine Bedenken – wie ein Bulle stürmt er auf sein Ziel zu und schaut, was geht. Geht nichts, beirrt ihn das in keiner Weise – er nimmt einfach neu Anlauf, scheinbar unermüdlich und ohne jede Versagensangst oder Zweifel an sich selbst. Wenn etwas nicht funktioniert, sind immer die anderen schuld oder die Umstände, und diese Einstellung beschert ihm ein unverwüstliches Selbstbewusstsein. Seine simpel gestrickte Lebensformel lautet: Wir sind hier, um etwas zu erreichen. Und das tut er. Wozu ist das Leben sonst da? Es gibt Menschen, die nützen ihm dabei und welche, die tun es nicht. Erstere sind seine Freunde, zweite sind ihm gleichgültig, maximal amüsant. Eine mathematische Formel fürs Leben, die aufzugehen scheint. Ich beneide ihn wirklich darum. Wie schön wäre es, einfach ein Rezept zu haben, das keine interpretierbaren Variablen aufweist, das schlicht funktioniert!
    Er scheint jedenfalls glücklich, sein Leben einfacher zu sein als meines. Er macht auch gar nichts erst kompliziert. Doch irgendwie spüre ich, dass da etwas Wesentliches fehlt, aber so wirklich weiß ich nicht, was das sein sollte. Hätte man mich gefragt, wäre ich versucht zu sagen: Ihm fehlt die Tiefe. Die fehlt ihm zwar todsicher... aber, ganz ehrlich, wenn diese Tiefe ihn unglücklich macht...so wie Elisha oder mich... weil sie uns so zu Zweifeln animiert, ist es dann sinnvoll, in diese sogenannte Tiefe zu gehen? Oder ist dieses „in die Tiefe gehen“ nur eine dürftige Ausrede der Frustrierten, die mit ihrem Leben unzufrieden sind? Mir nützt auch der berühmte Spruch nichts, in dem es heißt, dass es doch so seltsam sei, dass die Dummen so sicher und die Intelligenten voller Zweifel sind. Weil: Dumm ist mein Chef nicht. Nur ohne Zweifel.
     
    Schon am nächsten Tag trafen wir uns, J, damals noch Herr Kolb, und ich. Es war ein Samstag, d.h. keiner außer uns in seinem Büro, aber er hatte nicht warten wollen. Wenn er enttäuscht über mein Äußeres war, zeigte er es nicht – wofür ich ihm unendlich dankbar war. Er war reizend. Er sah noch besser aus als auf dem Foto und hatte den absoluten Knackarsch.
    Aber was das Entscheidende war: Er gab mir das Gefühl, meine Ausbildung nicht umsonst gemacht zu haben. Das Gefühl, etwas wert zu sein. Er sagte:
    „Hören Sie, ich will Sie!“
    Mir fiel zu diesem Zeitpunkt nicht auf, dass die Betonung auf „will“ und nicht auf „Sie“ lag, dazu war der Vertrag, den er mit anbot, zu fantastisch. Obwohl er wenig von mir wusste und ich noch weniger über ihn und seine Firma, zierte ich mich nur der Form halber, sagte aber letztendlich ad hoc zu. Es war mir egal. Er war so hübsch! Und so charmant! Und das Wichtigste: Gott, ich hatte einen Job!  Ich hatte einen Job! Einen richtigen, echten, verdammten Job! Yeah!
     
    ***
     
    Joe war der enthusiastischste Mensch, den ich kannte. Er stellte mir seine (damals) Mini-Firma mit einer Begeisterung vor, die mir das Gefühl gab, bei Bill Gates in der Garage gelandet zu sein. Ein bisschen war es auch so, denn viel mehr hatte er nicht in diesen Tagen.
    Er besaß einen geräumigen Abstellraum, in dem er ein paar Maschinen für seine Aufkleber stehen hatte plus selbstgezimmerte Obi-Regale mit Materialien drauf. Und er verfügte über einen Raum im Keller, von dem er behauptete, das sei sein Schnittstudio.
    Aber schon dieser erste Raum war das absolute Messie-Zimmer. Videocassetten standen in Stapeln herum, ungeschützt und falsch temperiert, Kameras, Stative, Fotoapparate, Zeitschriften, Broschüren, Fahnen, Wimpel... das totale Chaos. Mittendrin ein uralter Monitor, eine mittelmäßige Musikanlage ohne Mischpult und ein altersschwacher Rechner mit einem Mini-Schnittprogramm, das sich jeder Nerd vom Netz laden konnte. Im Prinzip hatte er nicht viel mehr als ein Hobbyfilmer - eher sogar weniger  - aber er schwärmte mir von seinen Zukunftsvisionen in leuchtenden Farben vor, sagte, dass er jede Menge Kunden herbeischaffen könne, aber er brauche einen Verantwortlichen für sein Filmstudio, er kenne sich eher mit Aufklebern und Printaufträgen aus. Für ihn läge im Segment ‚Kleinunternehmer und Mittelstand’ eine Riesenzukunft und eine ungefüllte Marktlücke. Ohne mich groß zu fragen, war er sofort mit mir per Du, quatschte quer drauflos und war der ungezwungenste Mensch, der mir je über den Weg gelaufen war. Und einer der

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