Trügerisches Spiel (German Edition)
es in dem uralten Auto nicht, das sie sich gerade so hatte leisten können. Mitchell lag inmitten von Tausenden Quadratmeilen Ackerland, bei gutem Wetter wie heute konnte sie bis zum Horizont blicken. Es gab keine Wälder oder Hügel, einfach nur plattes Land. Selbst im Stadtkern fand sich eher wenig Grün, nur ein paar vereinzelte Bäume, Büsche und Rasenflächen. Langsam fuhr Jocelyn die schmalen Straßen entlang und blickte alle paar Sekunden in den Rückspiegel. Nachdem sie auf dem kurzen Weg zu ihrem Haus nichts Auffälliges entdecken konnte, entspannte sie sich ein wenig. Es war alles nur Einbildung. Niemand war mehr hinter ihr her, sie war hier in Sicherheit.
Mit einer Hand hob sie ihren schweren Zopf an und löste die Haare von ihrem feuchten Nacken. Der Luftzug trug den Geruch nach trockenem Gras ins Wageninnere. Sehnsüchtig wünschte sie sich, jetzt in San Francisco das Meer riechen zu können. Verdammt, sie wollte doch damit aufhören! Wütend hieb sie auf das Lenkrad und zuckte zusammen, als die Hupe ertönte. Sehr unauffällig, Jocelyn! Irgendwann in den vergangenen Monaten hatte sie damit begonnen, mit sich selbst zu reden, um die Stille zu durchbrechen. Vielleicht sollte sie sich ein Haustier anschaffen, dem sie dann aus ihrem Leben erzählen konnte. Sie verdrehte die Augen und konzentrierte sich nur noch auf das Fahren, bis sie vor ihrem gemieteten Haus angekommen war.
Es lag ganz am Rand des Ortes, dahinter erstreckten sich nur noch Felder. Die Häuser der Nachbarn zu beiden Seiten waren durch Bäume verdeckt, was ihr normalerweise sehr gelegen kam. Im Moment hatte sie jedoch eher das Gefühl, dass sich dort jemand verstecken könnte, um sie zu beobachten. Mit einem Schnauben stieß sie die Wagentür auf und stieg aus. Nachdem sie ihre Sporttasche vom Rücksitz genommen hatte, schlug sie die Tür zu und stapfte zum Haus. Sie öffnete das Fliegengitter und schloss ihre Haustür auf. Erneut glaubte sie, Blicke auf sich zu fühlen, aber diesmal drehte sie sich nicht um. Es war Einbildung, weiter nichts. Trotzdem schlüpfte sie rasch ins Haus und schloss die Tür hinter sich ab. Nach kurzem Überlegen schob sie auch noch den Riegel vor.
Mit dem Rücken lehnte sie sich an die Tür und sah sich im Raum um. Er war nur mit dem Nötigsten ausgestattet und wirkte, als hätte sie vor, bald wieder auszuziehen. Vielleicht sollte sie doch irgendwann anfangen, sich in ihrem neuen Leben hier einzurichten. Es war möglich, dass sie nie wieder Jocelyn Callaghan sein würde, und es wurde vermutlich Zeit, sich damit zu arrangieren. Tränen schossen in ihre Augen, und sie wischte sie heftig weg. Sie lebte noch und hatte damit deutlich mehr Glück gehabt als ihre beiden Mitfahrer im Fahrstuhl. Langsam ging sie durch das eingeschossige Haus zu ihrem Schlafzimmer. Auch hier schien alles wie immer zu sein, und sie begann allmählich, sich zu entspannen. Sie würde jetzt duschen und sich dann einen Schluck Rotwein und einen guten Film gönnen.
Obwohl alles ruhig blieb, konnte Jocelyn die Unruhe nicht abschütteln. Sie nahm frische Kleidung und den alten Baseballschläger mit ins Bad, der zu ihrem Schutz griffbereit im Schrank stand, und schloss die Tür ab. Das würde zwar auch nicht helfen, wenn jemand wirklich zu ihr wollte, aber ihr vielleicht zumindest ein wenig Zeit verschaffen, sollte jemand die Badezimmertür aufbrechen. Während sie duschte, war Jocelyns Aufmerksamkeit völlig auf diese Möglichkeit konzentriert, und sie kam sich ein wenig lächerlich vor, als sie zehn Minuten später das Wasser abstellte und nichts passiert war. Seit dem Überfall hatte sie keine Schwierigkeiten, sich in jeder Situation Dutzende verschiedene Horrorszenarien vorzustellen. Dafür brauchte sie noch nicht einmal in einen Fahrstuhl zu steigen.
Kopfschüttelnd griff Jocelyn zum Handtuch und trocknete sich rasch ab. Nachdem sie wegen der im Haus angestauten Hitze ein Top und Shorts angezogen und ihre Haare rudimentär gefönt hatte, ging sie in die Küche, um sich einen kleinen Snack zuzubereiten. Den Baseballschläger nahm sie vorsichtshalber mit, auch wenn sie sich dabei lächerlich vorkam. Sie befand sich hier in der ruhigsten Kleinstadt, die sie je kennengelernt hatte, nicht in einer Mafiahochburg. Vor allem aber hatte sie nichts getan, das jemanden dazu veranlassen würde, sie hier zu suchen, also konnte dieser Leone gar nicht wissen, wo sie war.
Jocelyn legte den Schläger auf den Tisch, öffnete die Kühlschranktür und
Weitere Kostenlose Bücher