Trügerisches Spiel (German Edition)
Seite des Ortes noch auf der anderen gab es irgendeine Deckung. Nur Häuser und vereinzelt Bäume und Büsche. Sie war gefangen, solange der Verbrecher dort stand!
»Hannah, bist du das? Was machst du da?«
Panik überschwemmte Jocelyn, als sie sah, dass ihr Nachbar vor sein Haus getreten war und direkt in ihre Richtung blickte. Oh Gott, nein! Ralph war über siebzig Jahre alt und bewegte sich nur mit seinem Rollator fort. Damit war er ein einfaches Ziel für den Verbrecher. Das konnte sie nicht zulassen.
Sie richtete sich ein wenig auf, achtete aber darauf, vom Verbrecher nicht gesehen zu werden. »Geh zurück ins Haus, Ralph, schnell.«
Ihr Nachbar stand nur da und starrte sie neugierig an. »Hast du etwas verloren?«
Das Knacken in den Büschen zeigte ihr, dass die Zeit abgelaufen war. Der Verbrecher wusste dank Ralph, wo sie war, und würde sie in wenigen Sekunden erreichen. Jocelyn rannte los.
»Hannah, was …?« Ein dumpfer Laut ertönte, dann fiel etwas scheppernd zu Boden.
Jocelyn konnte nicht anders, sie musste zurücksehen. Ralph lag am Boden, sein Oberkörper im Haus, die Beine draußen, der Rollator war umgekippt. Entsetzen breitete sich in ihr aus, als ihr klar wurde, dass ihr Verfolger auf ihren Nachbarn geschossen haben musste. Sie wollte zu ihm und ihm helfen, aber sie wusste, dass sie damit nur ihr Todesurteil unterschreiben würde. Nein, sie musste weg, so schnell und so weit wie möglich. Hoffentlich fand Ralphs Frau Marla ihn bald und rief einen Krankenwagen. Vielleicht war es noch nicht zu spät.
Nach einem kurzen Blick auf den Verbrecher, der gerade durch das Gebüsch brach und in ihre Richtung schwenkte, rannte sie los. Das Adrenalin pumpte durch ihren Körper und gab ihr die Kraft, sich um die Hausecke zu werfen, gerade als ein weiterer Schuss abgefeuert wurde. Es war ein Wunder, dass sie immer noch mehr oder weniger unverletzt war, doch sie hatte keine Zeit, es zu feiern. Schnell rappelte sie sich auf und lief am Haus entlang weiter. Ein gellender Schrei war zu hören und Jocelyn blinzelte hastig die Tränen weg, damit sie nicht ihre Sicht behinderten.
Sie wünschte, sie könnte irgendetwas für Ralph und Marla tun, doch das war unmöglich. Besonders wenn sie tot war. Sie wusste nicht, ob der Verbrecher noch hinter ihr war, aber sie wollte sich nicht umdrehen, um es herauszufinden. Nach scheinbar endloser Zeit, in der sie an zwei weiteren Häusern vorbeigelaufen war, konnte sie in einiger Entfernung eine Sirene hören, der gleich darauf eine zweite folgte. Schnell kamen sie näher, und Jocelyn hoffte, dass es reichen würde, um Ralph zu retten. Und wenn sie Glück hatte, würde der Verbrecher gefasst werden oder zumindest vorerst aufgeben. Das würde ihr die Zeit geben, hier wegzukommen und sich einen sicheren Platz zu suchen.
Inzwischen waren die Sirenen näher gekommen, und sie konnte Stimmen hören, die wild durcheinanderredeten. Anscheinend waren nicht nur ihre direkten Nachbarn sofort herbeigeeilt, als Marlas Schrei und die Polizeisirenen ertönten. Jocelyn kroch geduckt durch den Vorgarten, um besser sehen zu können. Der Verbrecher war nirgends zu entdecken. Vielleicht war er weggelaufen, ein Unbekannter würde in dem kleinen Ort schließlich sofort auffallen.
Ein Krankenwagen und mehrere Polizeiwagen hielten vor Ralphs Haus und blockierten auch ihre Einfahrt. Jocelyn schob sich die feuchten Haare aus dem Gesicht und versuchte, eine Möglichkeit zu finden, wie sie ungesehen aus der Stadt kommen konnte. Ohne ein Auto würde sie es nie schaffen, nur wurde ihres von den Menschen und Einsatzwagen vor ihrem Haus eingekeilt und war vor allem sicher auch ihrem Verfolger bekannt.
Vorsichtig zog sie sich wieder zurück und lehnte sich an die Hauswand. Sie war angenehm kühl auf ihrer erhitzten Haut. Jocelyn sah an sich herunter und erkannte, dass sie lediglich ein Top und Shorts trug. Nicht gerade die Kleidung, die sie sich für eine Flucht ausgesucht hätte, aber es war nicht zu ändern. Wenigstens hatte sie sich geistesgegenwärtig ihren Rucksack gegriffen und stand somit nicht völlig mittellos da. Aber wenn sie dem Verbrecher keine Spur liefern wollte, musste sie noch hier im Ort zur Bank, danach würde sie ihre auf den Namen Hannah Turner ausgestellten Karten nicht mehr verwenden können. Und sie hatte höchstens zwanzig Dollar Bargeld dabei.
Jocelyn wischte den Schweiß aus ihrem Gesicht und atmete tief durch. Okay, sie musste sich ein Auto beschaffen, egal wie. Dank der
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