Truthahn um zwölf
die Nerven. Vielleicht hat Anne ein klein wenig zu viel Geduld. Es ist eine Erleichterung, wenn man sich manchmal gehen läßt.«
»Was ich befürchte... «, begann sie, führte den Satz aber nicht zu Ende. Doch ihr Blick wanderte zwangsläufig zu Ursula, die sich gewohnt auffällig darum bemühte, daß sich alle bedienten — was sie viel lieber ohne Hilfe getan hätten — und sogar unsere Kinder überredete, sich große Portionen Huhn und Vanilleeis mit hinauszunehmen. Sie hatte wieder einmal alles in ihre Hand genommen, und ich glaube, Mrs. Evans war davon genauso begeistert wie wir anderen.
Aber sie hatte recht. Anne sah wirklich müde und abgespannt aus. Sie gehörte nicht zu den Frauen, — wenn es die überhaupt gibt — denen das letzte Stadium der Schwangerschaft nichts ausmacht. Sie war zu schmächtig dafür. Ihr liebes rundes Gesicht war schmal geworden, und sie sah älter aus als sechsundzwanzig Jahre. Neben ihr wirkte Ursulas bewundernswert schlanke und graziöse Figur besonders vorteilhaft. Mir kam der gehässige Gedanke, daß Ursula dieses unnötig elegante Kleid nur angezogen hatte, um den Unterschied noch stärker zu betonen.
Sie kommandierte alle herum, und ich hörte sie zu Anne sagen: »Komm, du brauchst dich um nichts zu kümmern. Setz’ dich hin und überlaß’ alles mir. Es macht mir großen Spaß, so etwas habe ich noch nie erlebt.« Dann wandte sie sich vertraulich an mich: »Schade, daß Anne darauf bestanden hat, zu kommen. Tim hat versucht, es ihr auszureden. Er meinte, ich könne ohne weiteres ihre Rolle übernehmen«, und in dieser Meinung wurde sie noch vom Colonel bestärkt, der laut sagte: »Weiß nicht, was wir ohne dich täten, meine Liebe. Übernimmst doch die Sorge für alles, nicht? Anne wird dir dafür dankbar sein.«
Anne hatte zugehört, und aus ihrem Gesicht konnte ich sehen, daß sie nicht unbedingt vor Dankbarkeit überfloß, besonders als Tim besorgt sagte: »Liebling, du siehst richtig mies aus! Willst du hier verschwinden und heimfahren?«
Keine Frau hört gerne, daß sie »richtig mies« aussieht, und so sagte Anne mit schneidender Stimme: »Natürlich nicht. Ich kann doch nicht von Papas Fest wegrennen, nach all der Arbeit, die sie sich damit gemacht haben. Es geht mir ausgezeichnet.«
Man hätte meinen sollen, daß Tim sich damit zufrieden geben würde, aber weit gefehlt. Er fuhr unbeirrt fort: »So siehst du aber nicht aus. Ich glaub’, es ist viel besser für dich, wenn ich dich schnell heimfahre. Ich kann Ursula ja später abholen, und es ist wirklich nicht notwendig, daß du dableibst. Sie wird mit allem bestens fertig.«
Annes blaue Augen, normalerweise so sanft und fröhlich, blitzten zornig, als sie mit mühsamer Beherrschung sagte: »Sicherlich. Aber ich bin doch ein recht eindrucksvolles Dekorationsstück, nicht wahr?«
Offensichtlich drang es nun in Tims lieben, aber nicht sehr klugen Kopf, daß er etwas Falsches gesagt hatte, denn er warf ihr einen verwirrten und unglücklichen Blick zu. Schnell sagte ich: »Komm, Anne, wir setzen uns da in die kühle Ecke. Oder hast du gerade was zu tun? Es ist schon lästig, wenn man Gastgeberin ist.«
»Das bin ich anscheinend gar nicht«, sagte Anne bissig, und Ursula, die uns zugehört hatte, verstand endlich einmal, woher der Wind wehte. Darum sagte sie liebenswürdig: »Setz dich in diesen bequemen Sessel hier, Anne. Da kommen alle Leute vorbei. Ich verdränge dich nicht von deinem Platz, und sicher wollen sich viele mit dir unterhalten.«
Das war plump. Aber als Anne sich in dem angebotenen Sessel niederließ, flüsterte sie mir schuldbewußt zu: »Weißt du, sie ist schon schrecklich nett. Zumindest versucht sie es«, und sie wandte sich einigen Farmersfrauen zu, die von der anderen Seite von Tiri zu Teds Hochzeit gekommen waren.
Tim war betroffen. »Was ist los, Susan?« fragte er, als er mich einmal kurz in einer Ecke erwischte. »Mit Anne, meine ich. Hab’ ich was Falsches gesagt? Sie ist ganz anders als sonst.«
Ich sehnte mich danach, ihm kurz und deutlich zu sagen, was los war. Ich verspürte sogar die primitive Regung, ihn bei seinen hübschen Ohren zu packen und zu schütteln. Aber der Augenblick war nicht geeignet für Tätlichkeiten, und so sagte ich nur: »Frauen schätzen es nicht besonders, wenn man ihnen sagt, daß sie >richtig mies< aussehen, Tim. Versuch dir das zu merken. Das ist Lektion Nummer eins für werdende Väter.«
Er warf mir einen beleidigten Blick zu. »Du bist genauso
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