TS 59: Das Raumschiff der Verdammten, Teil 2
Zuhörer über die Dinge aufzuklären, die man auf den Bildern nicht sehen konnte: was die Menschen zu denken pflegten, worüber sie am heftigsten nachdachten und wie es ihnen im Laufe der Zeit gelungen war, der Natur ein Geheimnis nach dem andern zu entreißen und sich die Naturkräfte zu Diensten zu machen. Val und Horp erfuhren von der Kraft, die der GRAVITATION innewohnt, und den gewaltigen Energien, die in einem ATOMKERN enthalten sind. Sie lernten die RELATIVITÄT der Zeit und der räumlichen Ausdehnung verstehen und begriffen – oder nahmen wenigstens zur Kenntnis – daß wahrend der nahezu siebentausend Jahre, die das Schiff nun unterwegs war, auf der ERDE, der Heimatwelt der Menschheit, fast fünfzigtausend Jahre vergangen waren.
Fard war ein vorzüglicher Lehrer, und im Laufe zweier Tage – nur unterbrochen von den Stimmen, die von Zeit zu Zeit aus dem unsichtbaren Lautsprecher drangen – hatte er seinen Schülern im großen und ganzen das Weltbild der Menschheit vermittelt, wie es gültig gewesen war, als das Schiff von der ERDE aus aufbrach. Val und Horp hatten verstanden, daß in dem großen, weiten Raum, der die WELT in der Hauptsache war, die Sterne und Planeten nicht überall mit der gleichen Wahrscheinlichkeit vorkamen, sondern daß es Sternballungen gab – sogenannte Milchstraßen oder Galaxen. Und daß das Schiff, in dem sie sich befanden, die heimatliche Galaxis der Menschheit schon verlassen hatte, aber durch die beständig wirkenden Kräfte der Gravitation gezwungen worden war, einen Bogen zu beschreiben, und eines Tages – an einem anderen Ende – wieder in die Galaxis eintauchen werde.
Schmerzlich war für Val die Erkenntnis, daß LEINSTER und HELMER nichts anderes gewesen waren als Menschen – wie sie selbst auch. Leinster war der Kommandant des Schiffes gewesen – so etwa wie Reigner der Oberste des McIntosh-Stammes – und Helmer sein Gegenspieler. Helmer hätte das Schiff um ein Haar vernichtet, aber Leinster tötete ihn zuvor.
„Ihr braucht nicht traurig zu sein“, meinte Fard. „Zu allen Zeiten gab es einen, der unendlich viel höher stand als Leinster und der bis in alle Ewigkeit viel höher stehen wird: das ist GOTT. Er hat die ganze WELT erschaffen – und vielleicht noch viele andere; wir wissen es nicht. Er ist unbegreiflich in seiner Macht; aber er wacht ständig über uns, und er weiß in jeder Sekunde, was mit uns geschieht.“
Sekunde, hatte Val inzwischen gelernt, war etwa dieselbe Zeitspanne, die er bisher einen Augenblick genannt hatte. Nur konnte man die Sekunde auf Uhren ablesen, den Augenblick jedoch nicht.
Fünf Tage vergingen, bis Val und Horp, wie Fard stolz behauptete, „etwa ebenso viel wußten wie irgendeiner von den metallisch gekleideten Fremden.“
Nur über eines wußten sie noch nichts: über die Fremden selbst.
Offenbar hatte Fard vorläufig auch noch nicht vor, sie darüber aufzuklären. Er sagte vielmehr:
„Jetzt, da ihr soviel wißt, ist es an der Zeit, daß ihr etwas über den GROSSEN PLAN erfahrt. Unsere Vorfahren – die vor ein paar tausend Jahren, meine ich – waren der Überzeugung, daß das Leben innerhalb des Schiffes, während es durch den Raum flog, sich in ganz bestimmten Bahnen abspielen müsse. Sie waren weiterhin davon überzeugt, daß es eines Tages gelingen werde, mit Hilfe des im Schiff untergebrachten Beibootes außerhalb des Schiffes, nämlich sobald es wieder in die Galaxis eindringt, Menschen zu finden, die in der Zwischenzeit mit Hilfe neuer Antriebsmethoden weit in die Ferne hinaus vorgedrungen sind. Für all das machten sie einen fein ausgeklügelten Plan, den GROSSEN PLAN.“
Val und Horp beherrschten mittlerweile die Kunst des Lesens. Und es erging ihnen anders, als es Val ergangen war, während er Lodifer vom Stamme der Purdoms zuhörte: sie verstanden das meiste von dem, was sie lasen.
Der GROSSE PLAN allerdings bildete in gewissem Sinne eine Ausnahme. Val verstand bald, daß es sich bei dem, was Fard so nannte, im wesentlichen um eine Art Geschichtsbuch handelte, in dem die besonderen Ereignisse, die das Schiff betroffen hatten, in zeitlicher Reihenfolge aufgeführt waren. Erst zum Schluß war aus dem Lauf der Ereignisse eine Schlußfolgerung gezogen worden, die in engerem Sinne den GROSSEN PLAN darstellte.
3215 – Die Besatzung des Schiffes ist auf 4,5 Millionen Köpfe abgesunken. Die Geburtenrate läßt jedoch erwarten, daß die Verluste im Laufe der Reise wieder ausgeglichen werden. –
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