TS 64: Bluff der Jahrtausende
was sich in dieser Zeit an Außerplanmäßigem ereignet hatte, war das Ausbrennen einer Kontrollampe gewesen.
Harp nahm den elegant geformten Hörer ab und wartete, bis auf dem kleinen Bildschirm das rote Frei-Zeichen aufleuchtete. Dann wählte er – hastig und ohne auf die Wähltasten zu sehen. Eileens Nummer kannte er auswendig, und die Griffe, die er tun mußte, um sie richtig einzutippen, ebenfalls.
In der Halle blieb es ruhig; Harp hatte sich längst daran gewöhnt, das vielstimmige Summen der Geräte als Ruhe zu empfinden.
Eileens Gesicht erschien auf dem Schirm: farbig, plastisch. Harp ergötzte sich eine Sekunde lang an dem erfreulichen Anblick; dann sagte er:
„Hallo, Liebling! Was wird heute abend aus uns beiden?“
Eileen legte den Kopf auf die Seite.
„Weiß nicht, Schatz“, antwortete sie kokett. „Vielleicht Somnavive?“
Harp runzelte die Stirn.
„Schon wieder Somnavive?“ fragte er zurück. „Wollten wir nicht lieber einen kleinen Ausflug nach …“
„M-hm“, unterbrach ihn Eileen kopfschüttelnd. „Zu gefährlich.“
Harp stutzte, dann lachte er.
„Also gut: Somnavive“, stimmte er zu.
„Um siebzehnzwanzig?“
„Um siebzehnzwanzig am gewohnten Platz“, nickte Harp. „Alles Glück für dich, mein Liebling.“
„Und die Hälfte davon geb’ ich dir“, antwortete Eileen mit zärtlichem Lächeln, die vorgeschriebene Formel mit ein paar freiwilligen Worten erweiternd.
Harp legte auf. Er sah sich um und stellte fest, daß niemand sein Gespräch belauscht hatte.
Dann sah er seufzend auf die Leuchtscheibe des Kalenders.
16-08-3962.
Noch fünf Monate und drei Tage, bis Eileens und seine vom Gesetz vorgeschriebene zweijährige Ehe-Probezeit vorüber war. Bis dahin würden sie sich mit Somnavive und ähnlichen Dingen begnügen müssen.
Denn die Probezeit war nichts weiter als eine Wartezeit. Eine Zeitspanne, in der die beiden Verlobten tun und lassen konnten, was ihnen beliebte, außer in einer Wohnung zusammenwohnen. Harp verstand deswegen nicht, wozu eine solche Zeit überhaupt gut sein könne; aber das wiederum beunruhigte ihn nur wenig. Denn von den Vorschriften, die das Ministerium für Nationale Psychologie produzierte, verstanden selbst eingearbeitete Psychologen nur die Hälfte.
Irgendein tieferer Sinn aber mußte jeder Anweisung zu Grunde liegen, davon war Harp felsenfest überzeugt; denn die Anweisungen wurden nach allgemeinen Richtlinien von elektronischen Maschinen ausgearbeitet. Und elektronische Maschinen, das war Harps Lebensweisheit, irrten sich niemals.
Er beschränkte sich also darauf, seufzend ein zweites Mal nach dem Kalender-Leuchtblatt zu sehen und sich darüber zu freuen, daß, seitdem er das letzte Mal hinaufgestarrt hatte, wenigstens ein paar Augenblicke vergangen waren.
Harp döste eine Weile vor sich hin und wartete darauf, daß es sechzehndreißig würde und er seinen Platz verlassen könne. Schließlich fiel ihm ein, daß er sich ein betriebsinternes Fernsehprogramm ansehen könne.
Er streckte die Hand aus, um das große Empfangsgerät einzuschalten – als es geschah.
Ein fremder Ton war plötzlich im Summen der Maschinen. Ein auf- und abschwellendes Pfeifen zunächst, das rasch in abgehacktes Wimmern überging, dabei über die Tonskala hinaufkletterte und als schmerzbereitendes Kreischen jenseits der Hörgrenze verschwand.
Harp war aufgesprungen. Die Kontrollampen auf der großen Schalttafel zu seiner Rechten zeigten ein tiefdunkles Rot. Das Summen der übrigen Maschinen war erloschen.
Schacht M-2/acs-2557 lag still.
Mein Schacht, dachte Harp zornig. Mein Schacht liegt still!
Er brauchte nichts weiter zu tun. Was auch immer geschehen war – es würde drüben bei der Zentralen Überwachung einen Alarm auslösen. Die Leute –
Da riefen sie schon!
Auf dem Visischirm blinkte das grüne Eilt-Signal. Harp nahm ab. Ingenieur Haysters rotes Gesicht erschien.
„Was ist los?“ brüllte er.
Harp zuckte mit den Schultern.
„Keine Ahnung. Was ganz Großes. Alle Maschinen stehen still.“
Hayster brummte und kratzte sich am Kopf.
„Schicke Leute ‘rüber. Müssen ‘runter und nachsehen.“
„In Ordnung“, antwortete Harp.
Eine Weile später kamen die Leute – fünf insgesamt. Sie trugen schwere Schutzanzüge mit eigener Luftversorgung und einer leistungsfähigen Sende- und Empfangsanlage, die selbst die dicksten Bodenschichten zu durchdringen vermochte.
Sie sahen aus wie Raumleute, die mitten zwischen Sonne und Altair wegen
Weitere Kostenlose Bücher