TS 91: Bis in die Unendlichkeit
blickten empor zu ihm, winkten und riefen. Es war dies der seltsamste Ruf, der je einen Menschen erreicht hatte. Er war nicht nur Gedanke, sondern etwas Tieferes, Stärkeres, Bewegenderes. Er war wie ein plötzliches Gefühl des Durstes oder Hungers. Er steigerte sich, als verlange ein Süchtiger nach Drogen.
Er mußte sein Raumschiff auf dieser Plattform landen. Er mußte herabkommen und einer der ihren sein. Er mußte … oh, welch elementares, hemmungsloses, schreckliches Verlangen …
Hastig glitt das Raumschiff heran und setzte auf. Sogleich erfüllte ihn – wieder mit jenem fürchterlichen Drang – der Wunsch zu schlafen.
D’Ormand blieb noch Zeit für einen einzigen verzweifelten Gedanken. ,Muß mich wehren’, durchschoß es ihn. ,Muß hier weg, weg. Sofort!’
Doch mitten in dieser schrecklichen Furcht überkam ihn der Schlaf.
*
Stille.
Er lag mit geschlossenen Augen in einer Welt für sich, einer Welt, die so ruhig war wie …
D’Ormand konnte keinen passenden Vergleich finden. Es gab keinen. Überhaupt, es gab nichts in seiner ganzen Existenz, das sich mit dieser tiefen Ruhe messen konnte, dieser totalen Abwesenheit jeglichen Geräusches, die auf ihm lastete wie … Abermals fand er keinen Vergleich. Denn was hätte auf ihm lasten sollen, hier, wo doch nur die Stille war, sonst nichts?
,Seltsam’, dachte er – und er verspürte den ersten fernen Impuls, die Augen zu öffnen. Der Impuls ließ nach, schwand; zurück blieb in seinem Geist die fest umrissene Überzeugung, daß doch er, der so viele Monate allein in einem Raumschiff verbracht hatte, gewiß die volle Bedeutung der Stille erfahren müßte.
Mit der Ausnahme, daß früher das schwache Zischen seines Ein- und Ausatmens gewesen war, das saugende Geräusch seiner Lippen an einem Nährrohr und die Bewegungen seines Körpers im Pilotensitz. Dies aber war – was?
Sein Hirn verweigerte jede Definition. D’Ormand öffnete die Augen. Aber sein Sehvermögen schien nicht die geringste Abweichung an den Eindrücken mit sich zu bringen.
Er lag teils auf der Seite, teils auf dem Rücken. Die Sterne verdeckend, befand sich in der Nähe ein torpedoförmiges, tropfenartiges Gebilde, an die zehn Meter lang und fünf Meter stark. Abgesehen davon gab es nichts in seinem Blickfeld – außer den Sternen und der Dunkelheit des Alls.
Er hatte keine Angst. Sein Geist und dessen Lebendigkeit schienen weit weg. Die Erinnerung war ein noch entfernteres Anhängsel. Aber nach einer Weile sickerte der ausgeprägte Wunsch an die Oberfläche seines Willens, seine körperliche Lage in Zusammenhang mit der Umwelt zu ergründen.
Da war – entsann er sich mit aller Macht – ein dunkles Schiff gewesen. Dann Schlaf. Jetzt Sterne und interstellare Nacht. Er mußte noch immer im Kontrollstuhl sitzen, den Blick auf den Bildschirm gerichtet, der ihm das Firmament enthüllte.
Aber, so überlegte D’Ormand, er saß doch nicht! Er lag auf dem Rücken, starrte empor, empor … auf einen Himmel voller Sterne und auf ein tropfenförmiges Gebilde, das aussah wie ein Raumschiff.
Doch in ihm sprach alles gegen diesen Eindruck. Denn ihm gehörte das einzige irdische Raumschiff in diesem Teil des Universums. Hier konnte es kein zweites geben.
Und da war D’Ormand auch schon auf den Beinen. Er entsann sich nicht, aufgestanden zu sein. Noch den Bruchteil einer Sekunde zuvor lag er rücklings am Boden. Jetzt …
… stand er schwankend auf einem weiten Deck neben seinem Raumschiff. Das Deck, ja alles, war deutlich sichtbar, trotz der ungeheuren Länge und Breite. Und überall ringsum, ob nah oder fern, standen Männer und Frauen – saßen oder lagen, aber schenkten ihm nicht die geringste Beachtung.
Da krallte er sich mit gefühllosen Fingern an die Luftschleuse des Raumschiffes, als wollte er sie aufreißen.
Nach einer Zeitspanne der Gedankenlosigkeit begann sein Raumfahrertraining, diese automatischen, verzweifelten Bewegungen seines Körpers zu kontrollieren. Er wurde sich bewußt, daß er den Schließmechanismus untersuchte, probeweise daran zog. Dann trat er einen Schritt zurück und betrachtete das Schiff als Ganzes.
Aus irgendeiner unergründlichen Reserve an Geduld entsprangen zuletzt der Wille und die Fähigkeit D’Ormands, in aller Ruhe rund um das Raumschiff zu gehen und durch die Bullaugen hineinzublicken. Das Innere bestand aus einer Fülle von vertrauten Mechanismen und Metallgebilden, deren Anblick neuerliche Erregung in ihm auslöste – welche
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