TS 97: Das Mittelalter findet nicht statt
erließ er einen Befehl, daß alle militärischen Kommandeure auf ihren Posten zu bleiben hätten. Urias überzeugte er von der Richtigkeit dieser Anordnung, indem er militärische Gründe vorgab. Sein wirklicher Grund war, Thiudegiskel während der Wahl in Kalabrien festzuhalten. Da er Urias kannte, wagte er nicht, ihm diesen Plan zu» erklären,, da er fürchtete, daß Urias in einer Anwandlung von ritterlicher Ehre dann als kommandierender General Gegenorder geben würde.
Die Goten hatten noch nie eine Wahl nach amerikanischen Prinzipien erlebt. Padway zeigte es ihnen. Als die Wahlmänner in Florenz eintrafen, fanden sie die ganze Stadt mit riesigen Plakaten und Fahnen geschmückt, auf denen zu lesen stand:
„STIMMT FÜR URIAS, DIE WAHL DES VOLKES! Niedrigere Steuern! Mehr für das Volk! Sicherheit für die Alten!“
*
Drei Tage vor der Wahl veranstaltete Padway ein Fest. Er stürzte sich zu diesem Zweck tief in Schulden. Nun, eigentlich stürzte er Urias in Schulden, da er es für unklug hielt, seine eigenen finanziellen Reserven zu gefährden.
Während er selbst bescheiden im Hintergrund blieb, hielt Urias eine Rede. Padway hörte später Kommentare von Zuschauern, die alle überrascht waren, daß Urias so gute Reden halten konnte. Er grinste. Er selbst hatte die Rede geschrieben und eine Woche lang jeden Abend damit verbracht, sie Urias einzudrillen. Persönlich war Padway mit dem Auftreten seines Kandidaten noch ganz und gar nicht zufrieden. Aber wenn es den Wahlmännern nichts ausmachte, konnte es ihm nur recht sein.
Am Abend saßen Padway und Urias bei einer Flasche Branntwein. Beide waren mit sich und der Welt zufrieden. Von den beiden Gegenkandidaten hatte einer aufgegeben und der andere, Harjis, Austrowalds Sohn, war ein älterer Mann, dessen Chancen äußerst gering waren.
Und dann kam atemlos einer ihrer Leibwächter hereingestürzt. Padway hatte sich langsam daran gewöhnt, daß Leute, die zu ihm kamen, immer atemlos waren.
Der Mann keuchte: „Thiudegiskel ist hier!“
Padway verschwendete keine Zeit. Er brachte in Erfahrung, wo Thiudegiskel sich aufhielt, rief ein paar gotische Soldaten zusammen und zog aus, um den jungen Mann zu verhaften. Er stellte fest, daß Thiudegiskel mit einer Gruppe seiner Freunde eine der besseren Gaststätten der Stadt beschlagnahmt hatte, indem er die zur Zeit dort wohnenden Gäste und ihre Habseligkeiten einfach auf die Straße geworfen hatte.
Sie saßen noch in ihren Reisekleidern herum und hatten offenbar bereits beträchtliche Mengen an Wein zu sich genommen. Padway strebte geradewegs auf sie zu. Thiudegiskel blickte auf.
„Oh, du bist es wieder! Was willst du?“
Padway verkündete: „Ich habe hier einen Haftbefehl wegen Insubordination und Pflichtverletzung. Der Haftbefehl ist von Urias.
Thiudegiskel unterbrach ihn: „Ja, ja, ich weiß schon. Ihr hattet wohl gedacht, ich würde Florenz fernbleiben, während ihr hier ohne mich eine Wahl abhaltet, was? Aber so dumm bin ich nicht, Martinus. Ich bin hier. Ich bin Kandidat, und wenn du jetzt irgendwelche Dummheiten machst, werde ich daran denken, wenn ich König bin. So bin ich: ich habe ein äußerst gutes Gedächtnis.“
Padway wandte sich zu seinen Soldaten:
„Verhaftet ihn!“
Thiudegiskels Leute erhoben sich von ihren Plätzen und griffen zu ihren Schwertern. Padway sah sich nach seinen Leuten um; keiner von ihnen hatte sich bewegt.
„Nun?“ herrschte er sie an.
Der Älteste von ihnen, eine Art Unteroffizier, räusperte sich. „Nun, Herr, das ist so. Wir wissen, daß Ihr unser Vorgesetzter seid und alles das. Aber die Dinge sind etwas unsicher mit diesen Wahlen und so, und wir wissen nicht, wer in ein paar Tagen die Befehle erteilen wird. Was ist, wenn wir diesen jungen Mann verhaften und er dann zum König gewählt wird? Das wäre doch nicht gut für uns, oder?“
„Ich … ihr …“, wütete Padway.
Aber der Erfolg war der, daß die Soldaten sich zur Tür hinausschoben. Der junge gotische Edelmann namens Wellimer flüsterte Thiudegiskel etwas ins Ohr und zog dabei sein Schwert halb aus der Scheide.
Thiudegiskel schüttelte den Kopf und sagte zu Padway: „Mein Freund hier hat keine sehr hohe Meinung von dir, Martinus. Er schwört, daß er dir einen Besuch abstatten wird, sobald die Wahlen vorüber sind. Es wäre also vielleicht besser für dich, wenn du Italien verlassen würdest. Das ist wirklich ein guter Rat, den ich dir gebe.“
Die Soldaten hatten ihn völlig im Stich
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