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TTB 100: Der Traum der Maschine

TTB 100: Der Traum der Maschine

Titel: TTB 100: Der Traum der Maschine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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noch immer in König Ödipus.
    »Am Schluß kommt Ödipus ins Blindenheim«, sagte Nicholas im Vorübergehen. Das Mädchen sah auf, musterte Nicholas nachdenklich und sagte:
    »Sehr witzig!«
    Dann kletterten Nicholas, Claudine und Grenelle die Wendeltreppe wieder hinauf. Nachdem sie den dunklen Torgang hinter sich gelassen hatten, atmeten sie wieder die frische Nachtluft. Immer noch waren die Straßen voller Autos, aber jetzt spiegelten sich Lichter, Leuchtreklamen und Autoscheinwerfer in den Schaufensterscheiben.
    »Der Wagen steht dort drüben«, sagte Grenelle und holte die Schlüssel aus seiner Hosentasche. Sie gingen zusammen hinüber; es war ein großer Citroën, weiß und mit dunkelblauen Ledersitzen.
    »Donnerwetter!« sagte Nicholas.
    Sie stiegen ein; Claudine setzte sich neben Grenelle. Der Wagen ruckte fast lautlos an, bog um die Ecke und reihte sich in den Verkehr ein. Claudine spielte mit den Knöpfen des Radios, sie genoß die kurze Fahrt.
    Das Haus Ecke Claude Bernard und Vauquelin war ziemlich alt. Es besaß eine Unzahl von Erkern und Vorsprüngen, und ein asthmatischer Lift brachte die drei hinauf in den fünften Stock. Nicholas' Zimmer lag in einem ausgebauten Speicher.
    Ein langer, weißgekalkter Gang führte zu einer eisernen Tür. Hinter der Tür war es dunkel; Nicholas langte an Claudine vorbei und machte Licht.
    Ein winziger Raum, in dem Waschbecken, Eisschrank und ein Kleiderschrank standen, der mit seltsamen Tapeten beklebt und übermalt worden war. Zwei Türen und ein Durchgang führten aus einem kleinen Zimmer. Der oben abgerundete Eingang war mit einem Samtvorhang verschlossen. Claudine schob den Stoff zur Seite. Dahinter lag das Atelier, das Studio, wie es von Nicholas Freunden genannt wurde.
     
    *
     
    Die Gorgoyne war mit nichts vergleichbar. Zweihundert Millionen verschiedener Zellen bildeten den vollkommenen Mechanismus. Ein ferner, jetzt bereits sagenhafter Ahne der Gorgoyne war in Venya gebaut worden; ein gewaltiges Rechengehirn auf paramechanischer Grundlage. Die Gorgoyne aber handelt mit jener vollkommenen Zuverlässigkeit, die sie schließlich unabhängig von ihren Erbauern gemacht hatte.
    Auch würde niemand die Handlungsweise und die grundlegenden Vorgänge der Gorgoyne begreifen können. Es war die einzige Maschine in der gesamten Schöpfung, deren Bezugssysteme fünfdimensional waren. Weder die Zeit, die Entfernungen, die Dimensionen, die Gedanken oder die Phantasie konnten Grenzen bilden. Die Gorgoyne war weder zu verbessern noch zu begreifen.
    Die Grundlinien des fünfdimensionalen Bezugssystems verkanteten sich gegeneinander. Die menschliche Sprache ist zu arm an Ausdrucksmöglichkeiten, um diesen Vorgang deutlich machen zu können.
    Zeit, Entfernung, wesenhafte Gedanken, Dimensionen und Phantasie ... genau an dem Schnittpunkt dieser fünf Linien geschahen Dinge, die nicht begriffen werden können. Nur Gorgoyne konnte sie vollbringen.
    Langsam veränderten sich Neutronenzellen. Nicht einmal das Wesen, dessen Gehirn von der Gorgoyne übernommen wurde, merkte etwas von diesem Vorgang. Ströme einer fremden Energie wurden frei und bildeten eine feste Form.
    Die Gorgoyne sah jetzt mit fremden Augen, dachte fremde Gedanken und bewegte die Muskeln eines fremden Körpers ...
     
    *
     
    »Tanzen können Sie hier nicht«, stellte Grenelle fest. Claudine lachte auf.
    »Irrtum«, sagte sie. »Wir haben sogar getwistet.«
    Der Boden war mit hellgrauem Belag bedeckt, darauf stand eine breite Couch mit feuerrotem Bezug. Ein wuchtiger Ohrensessel und ein Tisch mit einer zweieinhalb Quadratmeter großen Platte, die auf vier Stahlwinkeln befestigt war, standen daneben. Auf der Tischplatte herrschte ein heilloses Durcheinander von Papieren und Pinseln, Bücherstapeln und Schallplattenhüllen. Ein schräges, jetzt offenstehendes Dachfenster ließ Luft herein. Zwei Lampen beleuchteten den Raum.
    »Ziemlich gemütlich«, sagte Grenelle und sah sich nach einem Platz um. Er hob ein Handtuch auf, das über dem Sessel lag und deutete auf das Möbel.
    »Darf ich?« fragte er.
    »Nur zu«, sagte Nicholas und versuchte, einen Teil des Tisches aufzuräumen.
    »Keine Umstände meinetwegen, bitte«, sagte Grenelle. »Alles Ihre Bücher?«
    Er betrachtete das Gestell aus Eisenschienen und Brettern, das von Büchern überquoll. Fachliteratur, Hemingway, einige Bände eines großen Lexikons, endlose Reihen von Kunstbänden aller Stilepochen, belletristische Titel, Taschenbücher und gesammelte

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