TTB 100: Der Traum der Maschine
Zeitschriften. Ein staubiges Tuch hing über einer großformatigen Kamera im Stativ.
»Alles meine Bücher. In zehn Jahren gesammelt, gekauft und geschenkt bekommen.«
»Allerhand«, sagte Grenelle und nickte anerkennend. Er hockte sich auf die Fersen, um die Buchrücken zu studieren. Huxley, Orwell, Homer, einige Goethebände, Villon, Shakespeare und Dante.
»Sie scheinen ein ziemlich vielseitiger Mensch zu sein«, sagte Grenelle leise. »Ich nehme an, daß Sie auch diesen Raum hier eingerichtet haben?«
»Stimmt. War meine erste Tat, nachdem ich Paris erobert hatte. Kostete mich vier Tage Zeit und rund dreihundert Francs.«
Grenelle sah sich um. Drei Wände waren hellgrau tapeziert, die vierte wegen der Lichtreflexion weiß gestrichen. In einer Staffelei hing ein unvollendetes Bild. Der Hintergrund fehlte noch.
Es zeigte einen rund dreißigjährigen Mann – einen Charakterkopf. Gemalt in der Manier, wie Michelangelo gezeichnet hätte. Das Merkwürdige daran war, daß der Eindruck der Kohlezeichnung durch Ölfarben hervorgerufen wurde.
Claudine hatte inzwischen einen Stapel Langspielplatten durchgesucht und legte eine Platte auf einen Plattenspieler, der neben einem ziemlich großen Radiogerät in der Bücherwand stand.
Eine brüchige Altstimme sang einen Blues. Aus dem kleinen Vorraum hörte man das Summen einer elektrischen Kochplatte. Geschirr klapperte, und wenig später stellte das Mädchen drei Tassen auf den Tisch. Daneben stellte sie eine Dose Pulverkaffee, Milch in einer Konservendose und Zucker.
»Jeder nach Belieben«, sagte sie, als sie die Kanne voller heißen Wassers danebenstellte.
»Ich bin zwar kein Kunstkritiker«, sagte Grenelle von der Staffelei her, »aber Sie scheinen ziemlich begabt zu sein.« Er hatte den Kegel einer niedrig hängenden Lampe voll auf das Bild gerichtet und blickte genau hin.
»Wie werden Sie den Hintergrund malen?«
»Farbige Schleier. Rot, Schwarz und gelbe Fäden darin.«
»Hmm. Entweder versuchen Sie zu bluffen, oder man wird noch von Ihnen hören«, sagte Grenelle vorsichtig. »Meine eigene Meinung, ohne Gewähr. Ein echter Magat, sozusagen.«
»Ich kann Lob nicht vertragen«, sagte Nicholas mürrisch. Er hockte in der Couchecke und starrte das glimmende Pünktchen an seiner Zigarette an.
»Warum nicht?« fragte Grenelle und setzte sich wieder.
»Ich werde übermütig und unsachlich«, stellte Nicholas fest.
»Ist gar nicht wahr, Monsieur«, sagte Claudine schnell. Sie schüttete das heiße Wasser in die Tassen. »Er ist dann einige Tage lang der reizendste Mensch, den Sie sich vorstellen können.«
»Trotzdem«, sagte Nicholas, legte die Zigarette weg und tat sich zwei gehäufte Löffel Kaffee in das Wasser. »Meinen Sie wirklich, daß das Bild gut ist?«
»Ehrlich«, sagte Grenelle, »Sie machen es schon richtig. Sinnvoll und gegenständlich. Und keine Schmiererei, lauter einwandfreie Handarbeit. Wo lernten Sie die Techniken?«
»Bei vielen«, sagte Nicholas, »bei Bekannten, einem Kunstmaler; ich nahm Kurse an der Uni, arbeitete an privaten Malschulen. Meine Eltern ließen sich das eine Menge Geld kosten.«
Danach breitete sich Schweigen aus. Jeder der drei hier über den Lichtern von Paris war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt.
Grenelle dachte daran, wie leicht man Freundschaften schließen konnte, und wie wenig Menschen es gab, mit denen man in Kontakte dieser Art kam. Claudine sah unter langen Wimpern Nicholas an und entdeckte, daß dieser schweigsame junge Mann immer mehr gewann, je länger man ihn kannte und beobachtete. Aber – stets umgab ihn etwas Fremdes. Nicholas beschäftigte sich mit dem, was er in den letzten Stunden gehört hatte.
Grenelle brach das Schweigen. »Ich hoffe«, sagte er, »sie haben sich meine Gedanken nicht zu sehr zu Herzen genommen. Vergessen Sie es!«
»Kaum«, sagte Nicholas kurz. »Ich habe ähnliche Probleme. Mir fehlen Vergleichserlebnisse; ich merke mir meine Träume selten in der letzten Zeit.«
»Versuchen Sie's auch nicht«, sagte Grenelle, »es ist viel gesünder so.«
Er trank seine Tasse aus, dann sah er auf die Uhr.
»Es ist halb zwei. Für mich mehr als Zeit, ins Bett zu fallen. Morgen soll ich eine Gruppe Amerikaner durch das Werk führen. Ich werde gehen.«
Er zog eine Karte aus der Brieftasche und gab sie Nicholas.
»Hier haben Sie Adresse und Nummer. Wenn Sie Lust haben sollten, rufen Sie mich an oder besuchen Sie mich. Vermutlich treffen wir uns wieder in der Caverne .«
»Ohne
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