Tuerkei - Ein Land jenseits der Klischees
im März oder April einen vorweggenommenen Frühling genießen will, erlebt in der Regel eine Enttäuschung. Thrakien, der gesamte Raum um das Marmarameer, und die westliche Schwarzmeerküste gehören zur sogenannten gemäßigten Klimazone und werden maßgeblich vom Wetter auf dem Balkan und in Südrussland beeinflusst. Die Winter sind nicht so kalt wie in Mitteleuropa, aber es kann durchaus schneien, und vor allem die ersten drei Monate des Jahres sind nasskalt und ziemlich ungemütlich. Nach einem sehr kurzen Frühling kommt dann ein Sommer, der vor allem im Juli und August Temperaturen von 35 Grad und mehr bietet. Wer kann, flieht in dieser Zeit aus der Großstadt. Da die Schulen für drei Monate im Sommer schließen (von Mitte Juni bis Mitte September), verlassen die meisten Familien, die in den Jahren zuvor aus Anatolien nach Istanbul gekommen sind, in dieser Zeit die Stadt und gehen zurück in ihre Dörfer. Das obere Drittel der Istanbuler Gesellschaft fährt dagegen ins Sommerhaus an die Ägäis – wer keine Ferien machen kann, pendelt. Der Herbst zieht sich im Gegensatz zum Frühjahr lange hin – noch im Dezember gibt es immer wieder Tage, an denen die Sonne genug Kraft hat, dass man seinen Kaffee oder Tee im Freien genießen kann.
Das eigentliche Mittelmeerklima beginnt dagegen erst weiter südlich bei Izmir und zieht sich dann die gesamte Küste bis zur syrischen Grenze hin.
Das Besondere an der Türkei ist, dass dieses fast subtropische Klima nur an einem durchweg schmalen Küstenstreifen existiert. Der Grund dafür ist das Taurusgebirge, das wie eine Barriere die anatolische Hochebene auf der West- bis Ost-Ausdehnung vom Meer abriegelt. Mit bis zu 4000 Metern Höhe ist das Taurusgebirge eine Klimascheide, die dafür sorgt, dass zwischen dem Küstenstreifen und Zentralanatolien ein abrupter Unterschied besteht: auf der einen Seite subtropisch, auf der anderen Seite ein ziemlich trockenes und im Winter kaltes Steppenklima. In Zentralanatolien sind die Temperaturunterschiede zwischen Sommer und Winter erheblich. Während im Sommer das Thermometer zwischen 30 und 40 Grad Celsius pendelt, wird es im Winter so kalt, das Archäologen lange glaubten, neolithische Siedlungen gäbe es in der Türkei nur im Bereich des fruchtbaren Halbmondes, der vom Libanon über Syrien bis in den Quellbereich von Euphrat und Tigris nach Mesopotamien im heutigen Irak reicht. Erst in den 1960 er Jahren entdeckte der britische Archäologe James Mellaart die 9000 Jahre alte neolithische Großstadt Catalhöyük in der Nähe von Konya und wies damit nach, dass auch Zentralanatolien bereits seit der Steinzeit besiedelt ist, auch wenn im Winter die Temperatur bis auf 20 Grad Minus fallen kann. Ankara ist berüchtigt für seine kalten Winter.
Die eigentliche Kältekammer des Landes ist aber die Osttürkei. Wie an der Mittelmeerküste ist auch die östliche Schwarzmeerküste von einem über 4000 Meter hohen Gebirgszug abgeriegelt. Die Schwarzmeerküste hat deshalb im Winter eher gemäßigte Temperaturen und das ganze Jahr über einen hohen Niederschlag, da sich die Wolken an den Bergen kurz hinter dem Küstenstreifen abregnen. Die hohe Feuchtigkeit hat es ermöglicht, am östlichen Schwarzmeer Teekulturen anzulegen, die sich so gut entwickelt haben, dass die Türken zu einem Volk von Teetrinkern wurden und trotzdem noch über den Eigenbedarf hinaus Tee exportieren können.
Das hinter der Küste beginnende Gebirge ist dann aber, anders als der Taurus am Mittelmeer, nicht nur eine schmale Gebirgskette, sondern erstreckt sich über die gesamte Osttürkei, mit Ausnahme der Obermesopotamischen Tiefebene zwischen Euphrat und Tigris, entlang der Grenze zu Syrien. Dort, in der Osttürkei, herrscht das halbe Jahr über Frost, in Städten wie Erzurum, Kars und Dogubeyazit beginnt es oft schon im Oktober zu schneien und der Winter dauert bis in den Mai.
Entsprechend diesen extrem unterschiedlichen klimatischen Bedingungen sind natürlich auch die Segnungen der Natur höchst ungleich verteilt. Während zwischen Alanya und Antalya Bananen wuchern und Zitrusplantagen blühen, an der Ägäisküste die angeblich besten Oliven der Welt wachsen und in Zentralanatolien große Getreidefelder wogen, wächst im gebirgigen Osten gerade mal genug hartes Gras, um eine Herde Schafe zu ernähren. Der Osten hat dafür eine Ressource, die in den kommenden Jahrzehnten immer wichtiger werden wird: Wasser!
Hier entspringen die beiden biblischen Ströme Euphrat und
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