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Tuermer - Roman

Tuermer - Roman

Titel: Tuermer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Danz
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das interessierte mich nicht, einige andere Stapel, die auch nicht lesenswert schienen. Ich betrachtete daraufhin lange das an der Rückwand angebrachte Schmuckbrett mit dem Deckenfresko der Sixtinischen Kapelle. Als ich mich in dem Gewirr der Szenen etwas zurechtfand, entdeckte ich den Rhythmus der Propheten und Sibyllen, die ich damals nur als Männer und Frauen erkannte. Bei einem vierschrötigen Weib in der unteren Bildmitte war ich mir nicht sicher, ob der Rhythmus an dieser Stelle nicht durchbrochen wäre. Ich räumte einige Stapel weg, um die Inschrift darunter lesen zu können und entdeckte eine Lasche. Als ich an ihr zog, hob sich das Brett. Ein Geheimversteck. Wußte Vater davon? Ich dachte an einen Schatz, aber es waren nur Papiere dahintergeklemmt. Hatte Vater sie dort versteckt? Aber warum versteckt? Ich nahm eines heraus, verstand wenig vom Inhalt, das noch mühevolle Lesen lohnte sich kaum. Nur ein Wort beschäftigte mich:
Tuermer
. Das Wort war mir neu, und, anders als einige mir ebenfalls unbekannte Worte, beschäftigte es mich wegen seiner seltsamen Vokalfolge, die mir schon im Wort Goethe begegnet war und Indiz für eine besondere Nobilität zu sein schien, da die Aussprache an dieser Stelle das Geheimnis der außergewöhnlichen Schreibweise nicht preisgab. Dieses Wort hieß dann wohl auch Türmer. Ich mußte eine Gelegenheit finden, Vater zu fragen, was
Tuermer
heißt. Diese Gelegenheit hatte ich bald provoziert. Ich ging an einem der nächsten Abende, den Kopf nach links geneigt, durch die Wohnung und spielte den Clown, der unter einer linksseitigen Halsstarre leidet. Ich klagte, daß der Clown nichts mehr tun könne, blieb dann aber mit gespielter Freude vor unserem Bücherregal stehen, da erwies sich eine solche Starre nämlich als vorteilhaft, wie ich vor einiger Zeit mal herausgefunden hatte. Vater lachte. Ich begann also die Inschriften der Buchrücken zu lesen, die schwierigen ließ ich aus, um schließlich um so auffälliger am Namen Go-et-he zu kapitulieren, dessen h ich zusätzlich noch aspirierte. Na, hörte ich Vaters Stimme in scharfem Ton: Na, das weißt du doch, daß das Göte heißt. Darauf hatte ich gewartet: Aber warum schreibt es sich dann nicht so? Das war früher eben so, die hatten kein ö. Hatten sie dann auch kein ä und kein ü? Nein ü und ä hatten sie auch nicht. Jetzt ging ich wie die Müllerstochter im Rumpelstilzchen vor und fragte: Dann schrieben sie wohl auch Tür mit ue, oder Füße oder auch Türmer? Es sollte nebenher klingen. Aber Vater hatte aufgehorcht: Türmer? fragte er und sah mir mit direktem Blick ins Gesicht, ich hielt die Luft an und begriff, in welche Gefahr ich mich begeben hatte. Ich wußte bei diesem Blick, ich hatte an mehr gerührt. Und hätte inzwischen gern auf jedes Mitwissen verzichtet. Jetzt würde er alles merken. Jetzt … in die Vorstellung schlimmster Strafen hinein, die ich mir ausdachte, obwohl Vater mich nie schlimm strafte, fragte er: Was ist denn ein Türmer? Ich mußte mich durchschlagen, ich hatte noch eine kleine Hoffnung, ihm könne doch nichts aufgefallen sein: Ich weiß es nicht, sagte ich mit kleiner Stimme. Du kannst dich nicht erinnern? fragte er nach. Nein, kann ich auch nicht. Ich hatte es wieder in der Hand, den Verdacht abzulenken: Bei Göte vielleicht, sagte ich, um mit einem Scherz herauszukommen. Vater lächelte. Er schien mit einemmal geradezu stolz auf mich, wenn auch recht verwundert. Da lernt ihr doch einiges in eurer Schule, hätte ich gar nicht gedacht. Ich fand mich nun gar nicht mehr zurecht und sagte lieber nichts. Da fing er an, ein Gedicht aufzusagen. Er war mit sich beschäftigt, es herrschte ein betretenes Schweigen, Mutter hatte eine belegte Stimme, als sie mich fragte, ob ich noch ein Glas Saft trinken wolle. Ja, ich wollte. An Vaters Gedicht erinnerte ich mich nur in Bruchstücken. Aber später ist mir der Text wiederbegegnet und ich verstand, daß es eine Art Tschekistenromantik gewesen sein mußte, mit der er seine Arbeit betrachtete:
Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt, dem Turme geschworen, gefällt mir die Welt. Ich blick in die Ferne, ich seh in der Näh den Mond und die Sterne, den Wald und das Reh

Äste dürr, die flackernd brennen, glühen schnell und stürzen ein. Sollt ihr Augen dies erkennen! Muß ich so weitsichtig sein!
Zemun
    Die Stadt vor mir am Horizont. Schattierungen von grauem Blau, das himmlische Jerusalem eines niederländischen Meisters. Gegenwärtiger die abblätternden

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