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Tuermer - Roman

Tuermer - Roman

Titel: Tuermer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Danz
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Ankunft. Ich spüre einen leichten Schmerz darüber, daß ich diese Stadt erst jetzt kennenlerne, wie einen Menschen, den man zu spät trifft und dessen Bilder mit dem ersten Moped, von einem Sommertag am See oder in einem völlig aus der Mode gekommenen Kleid, einen schmerzen. Ich denke über Ianna nach, darüber, ob sie eigentlich schön ist oder nicht. Sie ist groß und trägt ihre blonden Haare zu einem einfachen Pferdeschwanz gebunden. Das auffallendste ist ihr breites, energisches Kinn. Man könnte es als unschön empfinden, stünde es nicht in einem solchen Kontrast zur Sanftheit ihrer Stimme. Ihre Stimme klingt im Treppenhaus, als wäre eine Perlenkette zerrissen, und die einzelnen Perlen kullerten über den Boden. Wie alt mag sie sein? Fünfunddreißig oder jünger, ich kann das bei Frauen schlecht schätzen. Dabei glaube ich, daß sie genauso alt aussieht, wie sie ist. Wenn sie sagen würde, achtunddreißig, würde ich denken: Ja, in ihrem Gesicht sieht man all diese Jahre. Wenn sie sagen würde, siebenundzwanzig, würde ich dasselbe denken. Heute morgen im kalten Kunstlicht der Rezeption, habe ich sogar die Entwürfe von Falten gesehen. Ich sage Entwürfe, weil sie wie ein Bild ist, bei dem der Maler sich noch überlegt, ob er sie ewig jung aussehen lassen will. Na ja, was Männer so über Frauen denken. Trotzdem sind es keine gewöhnlichen Falten, sondern kleine Krähenfüße, die mich an das dazugehörige Blitzen ihrer Augen erinnern und ganz im Gegensatz dazu zwei tiefe Furchen von den Nasenwurzeln zum Mund, wie von einem bitteren Lächeln. Ihre Augen sind etwas ungleich. Auf das linke legt sich das Lid schwerer, es gibt ihr einen melancholischen Ausdruck, selbst wenn ihre Augen blitzen. Warum ist das alles wichtig, eine Ianna an der Rezeption, warum nehme ich sie bis in mein Turmzimmer hinauf? Die Schwalben scheinen jetzt niedriger zu fliegen, vielleicht gibt es Regen.
Fieber
    Der fünfte Tag hier und ich liege in der schier undurchsichtigen Hitze ausgestreckt auf dem Bett. Sehe auf die dicken Fliegen auf dem Tisch, die so träge sind, daß man sieben mit einem Schlag erledigen könnte. Aber es wäre schlimmer, sie tot daliegen zu sehen. Heute morgen, als ich meine plötzliche Schwäche nicht wahrhaben wollte, sah ich beim Brotholen verstreuten Zucker auf der Straße und weiße Bohnen darin. Ein Stück weiter noch einmal Zucker. Ich war sicher, daß es Zucker war und kein Salz. Die weiße Stadt im staubig grauen Kleid. Die Häuser haben die scheckige Farbe der Platanen im Park, die abgeplatzten Rindenstücke liegen im dürren Gras. Es war noch früh und ein bißchen kühl. Ich hatte mich auf eine Schaukel im Park gesetzt, als der Schweiß plötzlich ausbrach. Zucker und weiße Bohnen. Zucker, wenn ich die Augen schließe. Verstreutes Weiß, das süß aussieht. Das Gefühl der Körner zwischen den Zähnen, das Zermahlen ihrer kristallinen Struktur. Der Geruch nach nichts, ein fehlender Geruch. So viele Zuckerkörner – so viele Wünsche für ein neues Leben. Und weiße Bohnen: die Perlenketten, die sich rechts herum um den Mittelfinger wickeln, links herum, Männer schlendern den Korso hinauf mit aus der Hüfte vorstoßenden Bewegungen. Die Auslagen der Waffengeschäfte, die kräftigen Unterkiefer der Frauen. Einkaufsnetze, Brüste, Absätze. Meine Haut spannt sich gegen die Hitze von innen und gegen die Hitze von außen. Sie trocknet aus und reißt auf. Sie blättert ab von meinem Körper, aber darunter wächst eine neue Haut, eine festere. Es ist fünf Uhr nachmittags, ein schwacher Luftzug weht ins Zimmer, vielleicht ein Gewitter, der Gedanke belebt mich. Morgen werde ich über den Berg sein, morgen fange ich mit der Stadt an. Aber wahrscheinlicher ist, daß es längst angefangen hat und dieses Fieber dazugehört.
Taube
    Es kommt mir so vieles in die Gedanken, was ich vergessen hatte. Hier oben bewegen sich die Gedanken luftig wie die Vögel, der Wind bläst durch den Kopf. Da ist diese Geschichte, die Vater mir erzählt hat an meinem dreiunddreißigsten Geburtstag, als der Himmel über dem Turm der Thomaskirche, auf den wir gestiegen waren, abends so schön war, daß die Leute in den Straßen stehenblieben und hochsahen. Die Cumuluswolken hingen so dicht und zerklüftet über der Stadt, als ob wir uns die Köpfe an der Unterseite einer Welt stoßen könnten. Noch dazu waren sie glühend rot. Da hatte Vater gesagt: Wenn man das malen könnte, aber es geht nicht, der Himmel ist immer so leer. Frierst

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