Tuermer - Roman
Fassaden niedriger Häuser davor und die Ziegelwellen, die den Hang unter mir hinabspringen. Musik perlt aus dem Caféfenster und spült in Kaskaden das holprige Pflaster hinab – Rosen, Duft von Rosen, Geschmack von Pfirsichen, Backgammon. Die orangefarbenen Stuhllehnen. Ich sitze in Zemun und sehe auf die weiße Stadt, das Bild der Stadt als himmlisches Jerusalem. Das Bild der Spieler. Kurze Videosequenz für eine kleine Mail. Eine kleine runde Bewegung, ich drehe mich einmal um meine Achse. Grüße von mir an alle gespeicherten Adressen. Tatsächlich, man kann hier sein, zum Beispiel als Tourist. Die Taxifahrer staunen, ich staune: Da bin ich, grundlos. Ich versuche ein Bild von der Stadt zu zeichnen, meine Mittel sind schäbig, ich versuche eine pointillistische Manier. Jeder einzelne Punkt, den ich setzen kann, ist ein gewonnener Punkt. Es wird sich fügen. Der Rhythmus der Stadt ist schnell und hart, doch die Stadt ist süß. Kristallin, süß und sorglos um ihr Bild setzt sie Haus neben Haus, Glasfassaden neben Neorokoko, neben Postsozialistisches, neben Mafia, neben Cinema Bioskop, neben die megalomane Kirche des heiligen Sava, Geschäfte, die laufen, Geschäfte, die nicht mehr laufen.
Einkaufen
Jan Struckmann beschließt, einkaufen zu gehen. Was kauft Jan Struckmann? Einen Stadtplan braucht er nicht, Postkarten schreibt er nicht. Was kauft man als Mann in Belgrad. Ich stelle mich in die Männertrauben vor den Schaufenstern der Waffenläden. Ich begutachte die Revolvertaschen und Patronengürtel beim Sattler. Ich will mitspielen in diesem großen Männerspiel und kaufe mir als erstes ein Paar schöne glänzende Schnellfickerschuhe und eine schwarze Bundfaltenhose. Ich behalte sie gleich an und frage, ob ich meine alten Sachen im Laden lassen kann. Der Verkäufer macht Umstände, obwohl er die Sachen gern nehmen würde. Ich muß einen starken türkischen Kaffee mit ihm trinken, und er fragt mich aus. Sein Englisch reicht nicht weit, er klopft mir auf die Schulter und zeigt ein Photo seiner Tochter und seines Elternhauses in der Schumadija. Ich solle einen Ausflug dorthin machen, er gibt mir die Nummer seines Schwagers. Nach zwei Stunden stehe ich wieder auf der Straße. Ich habe das erste Mal, seit ich hier bin, richtigen Hunger.
Hammelfleisch
Es gibt Hammelfleisch und dicke Bohnen. Die Kellnerin trägt enge Jeans mit einer langen schwarzen Schürze darüber, flache Schuhe und eine kompliziert gewickelte Bluse, die einen braunen Streifen ihres Bauches erkennen läßt. Ich schlage meine Beine übereinander, so daß man die Schuhe sieht, und überlege, ob ich mich schon an dieser Stelle von Herrn Struckmann verabschieden sollte. Ich könnte auch ganz gut ich selbst sein, mit Beinen, die zum Übereinanderschlagen an einem Kaffeetisch da sind, mit dem Hals, in dem Wodka brennt, mit fettigem Fleisch im Magen und dem selbstsicheren Blick des Verdauenden. Was soll ich als Struckmann in dieser Stadt herumirren und meinen, ich hätte als einziger etwas zu tun. Ich habe genausowenig etwas zu tun wie der Rest, und Struckmann sieht in diesem Moment vermutlich neidisch auf die Schuhe seines Geschäftspartners und sachlich auf die Hände seiner Kellnerin. Ich bitte die Kellnerin um ein Glas Wasser und merke, daß sie das Elementare meiner Bestellung versteht. Wie sie wohl heißt, meine Nausikaa, den Unsterblichen an Wuchs und Aussehen gleichend. Es muß ein Patriarch von einem Hammel gewesen sein, den ich da verspeist habe, denn ich verspüre den dringenden Wunsch, sie nach dem Namen ihres Vaters zu fragen. Bei ihrer Antwort zu nicken, so daß sie versteht, welcher Art meine Beziehung zu ihrem Vater ist.
Stricken
Es ist Abend, und ich will noch etwas auf dem Zimmer lesen. Als ich hereinkomme, sitzt Ianna in einem der alten Plüschsessel im Foyer. Sie strickt. Ich hätte nicht gedacht, daß sie stricken kann. Es sieht aus wie das Vorderteil eines Kinderpullovers. Ich erschrecke, hat Ianna Kinder, einen Mann vielleicht? Ich hatte darüber gar nicht nachgedacht. Ich fühlte mich ausgeschlossen. Fast verraten, während ich all die Jahre versucht hatte, ins Leben hineinzukommen, waren andere, ohne zu klopfen eingetreten. Sie hatten eine Idee der großen Zusammenhänge des Lebens bekommen durch das kleine Leben eines Kindes, durch die Sorgen und die Selbstverständlichkeit dieser Liebe. Sie fuhren jeder auf einer fabelhaften Figur des bunten Karussells und tauschten die Schwäne und Schiffe und geflügelten Pferde. Sie
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