Tuermer - Roman
und das Private immer verflochten. Unsere Gespräche kamen über ein paar allgemeine Punkte nie hinaus, weil ich nicht an sein Innerstes rühren wollte. Daran, was ihn zusammenhielt, was vermutlich die Ehe meiner Eltern mühsam zusammenhielt, wollte ich nicht rühren, weil ich Angst hatte, er würde mir einen Vorwurf daraus machen, daß ich, obwohl ich das alte System noch mit Bewußtsein erlebt habe, mir keine Alternative zum gegenwärtigen vorstellen konnte. Ich hatte das einmal gesagt, und er hatte mich mit einem Blick angesehen, als wäre ich ihm der fremdeste Mensch auf Erden. Nicht verachtend, sondern, was schlimmer war, so als müsse ich jetzt wirklich aufstehen und gehen, da mein Besuch bei ihm nun beendet sei.
Regen
Ich bin nicht aufs Land gefahren. Die Geräusche eines verregneten Sonntags, wenn die Dämmerung trostlos ins Zimmer schleicht und man untätig auf dem Bett liegt: monotone Akkorde einer Gitarre und eine probierende Männerstimme, daß man dort sein möchte. Die Umdrehungen einer Waschmaschine, Wasserrauschen in der Leitung, der Fernseher nebenan, das Klingeln des eigenen Handys, Türenschlagen, Schritte dazwischen und auf den Fluren, das endgültige Einrasten eines Schlosses, das Leerwerden der Straßen und Hunger auf Schokolade. Angst vorm Augenöffnen und davor, das dunkle Zimmer zu sehen. Wenn das Licht nun nicht mehr funktioniert, wenn man die Schritte zum Lichtschalter nicht mehr gehen kann? Und daß die Zeit vergeht und daß so vieles auch heute nicht getan sein wird. Daß man vor Dunkelheit den Regen nicht mehr fallen sieht, daß der Regen überhaupt aufhört zu fallen, wenn man ihn nicht mehr ansieht in der Dunkelheit.
Promenade
Zehn Männer erhalten Instruktionen für das Streichen der Parkbänke an der Savapromenade. Die abgeblätterte dunkelblaue Farbe wird grün überstrichen. Ich ärgere mich darüber, daß ich ihnen am liebsten den Pinsel aus der Hand nehmen will, weil sie die alte Farbe vorher nicht richtig abgeschliffen haben und das Ganze spätestens in einem halben Jahr wieder genauso aussehen wird. Aber ich gehe weiter und beschäftige mich mit der Vermutung, daß auch diese Methode ein inneres Gefüge hat, das man nicht durch Verbesserungen aus dem Gleichgewicht bringen darf. Dann streichen eben in einem halben Jahr wieder zehn Männer die Bänke. Und sobald die Farbe getrocknet ist, sind die Bänke wieder besetzt mit alten Männern mit Zeitungen und Schachbrettern. Ich ahne etwas von der Schönheit vergeblicher Arbeit.
Zoran
Ich ging wie an jedem Abend seit meiner Ankunft auf der Knez flanieren. Alle sind dort, Familien, Kinder, bis spät in den Abend, Junge, Alte, Sitzende, Gehende, Neureiche und solche, die sich kaum etwas von den Auslagen in den Geschäften leisten können. Alle in einem großen Gespräch miteinander. Man muß hier nirgendwohin gehen, man geht einfach auf die Knez, und das ist wie Kino, Theater und Kneipe zusammen. Das Metropolenhafte der Stadt läuft in dieser Straße zusammen, zugleich ist es wie ein riesiges Wohnzimmer. Als ich eine Weile auf einem niedrigen Mäuerchen gesessen hatte und den Überfall eines Rudels Straßenhunde auf einen Hund mit Besitzer verfolgt hatte, stand Zoran neben mir. Er stellte sich vor und fragte auf Englisch, wie ich heiße. Ich hielt ihn im ersten Moment wegen dieser Forschheit für einen Zuhälter oder Dealer. Allerdings sah er ganz und gar nicht so aus, er wirkte eher schüchtern und etwas zu sensibel. Jedenfalls entschied ich mich, den Struckmann gleich steckenzulassen, und sagte ihm meinen tatsächlichen Namen. Es stellte sich heraus, daß Zoran deutsch sprach, er lebte in der Schweiz, stammte aber aus einer halb kroatischen Familie aus Südserbien, soweit ich die etwas komplizierte Einordnung seines Herkommens verstehen konnte. Er setzte sich zu mir, und wir begannen uns über den Grund meiner Reise zu unterhalten, die eigentlich keinen Grund hatte. Er verstand das gleich. Wie zur Bestätigung schlug er vor, mich am nächsten Tag mit seinem Auto in seine Heimatstadt mitzunehmen, wohin er ein Bett von einem Freund in die Wohnung seiner Mutter bringen sollte. Die Sache war reichlich verworren, aber seine Schüchternheit vertrieb meine Bedenken, wobei mir wohler gewesen wäre, wenn ich verstanden hätte, warum er mich mitnehmen wollte. Ich bedankte mich, und wir verabredeten uns für den anderen Morgen sieben Uhr vor meinem Hotel. Tatsächlich stand Zoran pünktlich um sieben mit einem roten Zastava, in dem man meiner
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