Twin Souls - Die Rebellin: Band 2 (German Edition)
versuchte, mir in die Augen zu sehen, aber ich hielt ihrem Blick nur wenige Sekunden stand, bevor ich ihm wieder auswich. Mir wäre es lieber gewesen, sie wäre wütend gewesen, als zu hören, wie sie sich Vorwürfe machte – sich schuldig fühlte oder was immer es war. Das hier hörte sich an wie etwas, das eine Mutter in einer Fernsehserie sagen würde, bloß dass Sophie zu jung war, um meine Mutter zu sein, zu fremd, zu anders. Selbstverständlich hätte meine Mutter niemals sagen können, was Sophie gerade gesagt hatte, weil meine Mutter von all diesen Dingen keine Ahnung hatte. Und die würde sie auch niemals haben.
» Ja, ist gut « , sagte ich.
Keine von uns rührte ihren Kaffee an. Sie weiß nichts von dem Plan, dachte ich. Sophie hielt das hier für eine einmalige Sache, sie glaubte, dass Addie und ich uns gestritten hatten und ich davongelaufen war, Ende der Geschichte.
Warum hätte sie auch etwas anderes glauben sollen? Wie hätte sie sich auch nur vorstellen sollen, was wir planten, geschweige denn, dass ich dabei mitmachte?
» Ich muss mit Ryan reden « , sagte ich. » Und es wird langsam spät. «
Kaum dass ich es gesagt hatte, bereute ich es schon. Selbst für meine eigenen Ohren klang es unhöflich. Ich schaffte es nie, die Dinge so rüberzubringen, wie ich wollte. Und das war das Problem, nicht wahr? So viele Jahre lang hatte ich mir keine Gedanken darüber machen müssen, was ich laut sagen sollte und was nicht. Ich flüsterte Addie manchmal Worte ein und meinte besser zu wissen, was sie sagen sollte, wenn sie zu nervös war, um etwas herauszubringen.
Aber es war anders, wenn man die Kontrolle tatsächlich innehatte. Ich hatte so viel Zeit damit verbracht, Addie beim Leben zuzusehen. Was, wenn zusehen nicht gereicht hatte? Was, wenn ich dazu verdammt war, für immer hinterherzuhinken, in einer Kindheit festzustecken, die ich nie hatte ausleben dürfen? Was verbockte ich sonst noch alles?
Vielleicht war das Problem ein tiefer gehendes. Vielleicht war es mir tatsächlich bestimmt gewesen, zu verkümmern. Vielleicht war es dem Universum einfach nicht bestimmt gewesen, eine Eva Tamsyn zu beherbergen. Nicht über so viele Jahre.
Falls meine Worte Sophie erzürnt oder verletzt hatten, verbarg sie es. » Gut. «
Ich hatte das Gefühl, noch mehr sagen zu müssen. Ihr womöglich danken zu müssen, für das, was sie gesagt hatte. Dafür, dass sie so gut zu uns gewesen war, denn sie war gut zu uns gewesen. Sie hätte uns nicht in ihrem Heim aufnehmen müssen, aber sie hatte es getan. Sie hatte uns versteckt, und das hatten noch nicht einmal meine Eltern getan.
Das zu denken war nicht fair. Die ganze Situation war mir unangenehm, meine Zunge lag nutzlos in meinem Mund.
» Tut mir leid « , sagte ich stattdessen.
Ich überließ es ihr, zu entscheiden, was mir leidtat, und floh.
Während meiner Unterhaltung mit Sophie hatte ich mir gewünscht, Addie wäre an meiner Seite. Aber jetzt, als ich vor Henris Wohnungstür stand, war ich definitiv froh, dass sie nicht da war. Manche Gespräche führt man besser allein.
Ich atmete tief durch und klopfte. Ein, zwei, drei, vier, fünf, sechs Sekunden vergingen.
» Hallo « , sagte ich leise, als Ryan die Tür öffnete. Er lächelte nicht, wie es normalerweise der Fall war, wenn er mich sah. Er bat mich auch nicht hinein. Stattdessen kam er raus und schloss die Tür hinter sich.
» Habt ihr es? « Seine Stimme war leise.
Ich nickte. Ich versuchte, in seiner Miene zu lesen. Aber er musste in seinem Leben an Devons Seite eine Menge gelernt haben. Er gab nichts preis.
Er musterte mein Gesicht ebenfalls. War ich ein offeneres Buch? » Geht es allen gut? «
» Ja, alles in Ordnung. « Meine Fingernägel gruben sich in meine Handflächen. » Es ging alles furchtbar schnell, Ryan. Ich bin zurückgekommen und in Dr. Lyanne hineingerannt und es … es wurde hektisch. «
» Was hast du draußen gemacht? « Seine Stimme klang beherrscht, aber ich erkannte, dass er es kaum hatte erwarten können, mir diese Frage zu stellen.
Doch ich war noch nicht vollkommen bereit, sie zu beantworten. Ich konnte nicht daran denken, ohne Geisterhände auf meinem Körper und die fremde Wärme der Haut eines anderen Jungen zu spüren. Ich hatte gefühlt, wie seine Zähne an meiner Lippe zupften, bevor ich wegzuckte.
» Ich weiß es nicht. « Ich holte tief Luft. » Ich war nicht diejenige, die losgezogen ist. Das war Addie. Und jetzt ist sie weg, und sie redet nicht mit mir, daher
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