Typisch Mädchen
Erziehung. Dies geschieht beispielsweise in konservativen Elternhäusern, durch Großeltern, durch konservative Bekannte oder fremde Personen, mit denen das Kind in Kontakt kommt. Alle diese Einwirkungen geschehen mit der bewußten Intention, einen Mann und eine Frau nach gesellschaftlich anerkanntem Muster zu formen (»Ein Bub fürchtet sich doch nicht«; »Mach dein Kleid nicht schmutzig«).
2. Gleich darunter möchte ich die Ebene der unbewußten Vermittlung geschlechtsspezifischer Verhaltensweisen ansiedeln. Sie gibt genauso traditionelles Rollenverhalten weiter, wie auf der ersten Ebene, nur wähnt sich die Erzieherin, der Erzieher nicht in der Rolle der Konservativen. Dies geschieht sehr oft in der Routine des täglichen Lebens mit dem Kind, zum Beispiel bei der Auswahl von Spielen, von zu erzählenden Geschichten, von Unternehmungen und oft durch spontanes Verhalten im Streß. Der scheinbare Zufall spielt hier eine entscheidende Rolle.
3. Auf der dritten Ebene spielt sich die Imitation geschlechtsspezifischen Verhaltens der kindlichen Umwelt durch das Kind ab. Es erfolgt die Übertragung seiner gewonnenen Erkenntnisse auf die eigene Person und das Geschlecht mit allen daraus folgenden Schlüssen. Das Geschehen auf dieser Ebene entspricht weithin den Hypothesen Kohlbergs. Hier können wir vom Begriff der »Selbst-Sozialisation« des Kindes zur Frau und zum Mann ausgehen: »Das Mädchen macht sich selbst zur Frau.« 75
Innerhalb dieses Prozesses hat das »Dabei-Sein-Wollen« beim Kind einen hohen Stellenwert. Das kleine Kind ist nicht nur bestrebt, in seiner Kindergartengruppe nicht anzuecken, anerkannt zu sein; es sieht mehr als nur diesen Ausschnitt; es will auch in Übereinstimmung mit dem großen Ganzen leben, und zwar nicht erst mit 14/15 Jahren, sondern bereits mit zwei oder drei Jahren. Und das große Ganze ist überall zu finden. Es wimmelt auf den Straßen, in den Läden, auf den Spielplätzen, bei Bekannten, im weiteren Familienkreis nur so davon. Dies sind die Botschaften, bei deren Einwirken auf das Kind wir nur einen begrenzten Einfluß haben. Kein Kind kann unter der Glasglocke des feministischen Kinderladens aufwachsen. Hinzu kommen auch noch die Botschaften, die von uns selbst ausgehen. Ich meine damit all die nie verbali-sierten Aussagen, die Verhaltensweisen von uns, die gar nicht für das Kind bestimmt sind; die ganze Palette des unbewußten, geschlechtseindeutigen Verhaltens, für das niemandem ein Vorwurf zu machen ist, das aber dennoch vom Kind in der Phase der Orientierung im Hinblick auf seinen Stellenwert und der Suche nach seiner Identität, ob Bub oder Mädchen, ganz genau herausgefiltert wird. Selbst die Tatsache, daß es für ein Kind mit dem Wachsen seiner kognitiven Fähigkeiten wichtig wird, sich als Frau oder Mann, als Bub oder Mädchen einzuordnen, deutet bereits darauf hin, daß es die Botschaft von der Einteilung unserer Gesellschaft in zwei verschiedene Menschengruppen aufgenommen und verstanden hat. In diesen Botschaften werden zugleich genaue Anweisungen dafür ' gegeben, wie »geschlechtsrichtiges« Verhalten aussieht. Sie sind eindeutig, fallen aber nicht unter den Begriff der Erziehung und sind nicht als bewußte Beeinflussung des Kindes beabsichtigt. Zum größten Teil ist sich die Person die die Botschaft aussendet, dessen gar nicht bewußt, ebensowenig wie unsere Gesellschaft insgesamt in vielen ihrer Erscheinungsformen sich ihrer zahllosen Einflüsse bewußt ist, die sie an die Kinder aussendet (Mann redet - Frau nackig; Erziehung zu Höflichkeit; Passivität der Mutter). . 4. Für eine sehr wichtige Ebene halte ich die interpretierenden Reaktionen der Erwachsenen in ihrer Einteilung des kindlichen Verhaltens in männliches und weibliches Verhalten gemäß ihren eigenen Vorstellungen von Geschlechtseigenschaften, wie Hagemann-White herausgefunden hat. Durch Benennung eines Verhaltens als männlich oder weiblich machen wir Menschen zu Männern und Frauen. Natürliches konstitutionelles Verhalten wäre als männlich einzuordnen, wenn es von einem Mann oder Buben kommt, als weiblich, wenn es von einer Frau oder einem Mädchen kommt. Ein Mädchen, das sich aufgrund seines eindeutigen Geschlechts als solches definieren kann, dürfte nie anerkennend zu hören bekommen, daß es wegen seiner kurzen Haare jetzt ein Bub sei, oder umgekehrt dürfte ein Bub nicht als Mädchen verspottet werden, wenn er einen Kittel trägt statt einer Hose. Bei uns ist es jedoch so, daß
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