Typisch Mädchen
Reifung eines jungen Menschen sein kann, wenn er in der bestehenden Gesellschaft keine sichere Stellung seines Geschlechts findet. Mangelndes Selbst-vertrauen wird nur als einer der geringsten Schäden dabei befürchtet.
Ich denke, daß Töchter-Mütter das Problem als solches gar nicht für Mädchen sehen und auch nicht sehen können, leiden sie doch selbst an diesem lebenslangen Widerspruch der doppelten Forderungen an die weibliche Frau, nämlich ökonomisch und geistig völlig unabhängig vom Mann ihr eigenständiges Leben mit und für ihn zu leben. Dieser Widerspruch in sich fällt uns schon gar nicht mehr auf, so ist er uns zur zweiten Natur geworden, so versuchen wir ihm hinterherzujagen. Machen wir uns um die Psyche der Mädchen deshalb weniger Gedanken, weil es wieder mal Mädchen, Wesen wie wir sind? Weil für sie nichts anderes gelten kann als für uns? Es existiert also neben der positiv zu bewertenden Befreiung des Mädchens aus den Ketten der konventionellen Erziehung ein stark anpassender Effekt, solange nicht zur Offensive in der Bubenerziehung übergegangen wird. Ohne die Buben zu fordern, zu verunsichern, sie in Gegensatz zur patriacha-lischen Kultur zu setzen, bleibt es nämlich wieder nur bei der Anpassungsleistung der Mädchen. Alle Geschlechterbefreiung wäre auf diese Weise nur von der ungeheuren Kraft der kleinen Mädchen verlangt, nur sie trügen die Last der Veränderung auf ihren Schultern. Sie würden ohne die Verunsicherung der Buben wieder auf die gleiche Betonmauer männlicher Ignoranz und fehlender Sensibilität stoßen und das Unvermögen der Männer zu persönlicher Veränderung erleben. Diese haben ja nie gelernt, wie es ist, sich in andere Rollen hineindenken zu müssen, verlacht und hintangesetzt zu werden. Sie waren und sind immer noch ungebrochen auf der Seite der Gewinner, sie sind die Insider. Selbst bei gutem Willen werden diese zukünftigen jungen Männer doch wieder nicht in der Lage sein, von sich aus - ohne mühevolle Kämpfe und Forderungen der Frauen - geschlechtsrollenverändernd zu leben. Sie haben weder Anlaß dazu, denn viele ihrer Partnerinnen werden angepaßt sein, noch kennen sie das psychische Instrumentarium für ein Leben im Widerspruch zum gängigen Männerbild.
Solange es also die Mutter entsetzt ablehnt, ihrem Sohn die Nachthemden der älteren Schwester anzuziehen, obwohl sie ja noch so schön sind, wird sich wohl bei den Männern nichts ändern. Solange Anneli stolz darauf ist, abgelegte Kleidung vom älteren Martin tragen zu dürfen, wird sich auch an ihren doppelten Anstrengungen, eine Frau und trotzdem so toll wie ein Mann zu sein, nichts ändern.
Ich finde, daß jetzt nach Aufbrechen der »Mädchenerziehung« in bescheidenen Ansätzen auch der anderen Hälfte der Kinder, den Buben, geschlechtsüberschreitend zu begegnen ist. Daß die isolierte nur an die Mädchen gerichtete emanzipa-torische Erziehung scheitern muß und nicht zur wirklichen Veränderung des Geschlechterverhältnisses führen kann, sahen wir an den zahlreichen Beispielen. Nur wenn sich beide Geschlechter von Kindheit an in ständigem wechselseitigen Prozeß der Veränderung befinden, Schritt für Schritt den Weg miteinander gehen und sich dabei auch die Erwachsenen und ihre Umwelt ändern, besteht die Chance einer Zukunft in wirklicher Gleichberechtigung.
Unser Zusammenleben ist wie Treibhausluft für das Aufwachsen der kleinen Buben. Um einen Ausweg zu finden, gilt es die Türen des Treibhauses zu öffnen. Den kleinen Buben soll der kalte Wind um die Nase blasen, sie haben den kleinen Mädchen Platz zu machen. Endlich müssen auch Mädchen teilhaben, ihre Umgebung muß so sein, daß sie die volle Palette der Möglichkeiten für sich mit Identifikationsmustern austesten können und dabei Anerkennung finden. Das kann nur auf Kosten der kleinen Buben geschehen. Zunächst muß die nächste Umgebung des Mädchens schon anders beschaffen sein. Gehen wir von der Orientierung der Kinder an verschiedenen Geschlechtern als Faktum aus, dann gilt es das Klima zugunsten des weiblichen Geschlechts zu verändern. Die Durchsetzung der Rechte der Frauen, Infragestellung und Abschaffung männlicher Privilegien, ein verändertes Verhalten der Frauen gegenüber Männern wird unseren Töchtern das Klima verschaffen, das sie zu einem menschlichen Aufwachsen benötigen.
Es ist also nicht so sehr das Problem der Stunde, an ausgeklügelten Erziehungsmaßnahmen zu arbeiten, um die Mädchen dem
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