Typisch Mädchen
»proximal mode behaviour« geübt, das heißt, ihr Handlungs- und Bewegungsspielraum wird eingeengt, auf die Mutter hin orientiert, ihre Autonomiebestrebungen werden nicht für gut befunden, sondern mit Ängstlichkeit und Fürsorglichkeit eingeschränkt und behindert.
Aus der geballten Sammlung und Darstellung all dieser Details der Sozialisationsforschung könnte sich nun die Schlußfolgerung aufdrängen, daß geschlechtsspezifisches Verhalten das Endprodukt eines Prozesses bewußter Erziehung und Lenkung sei, den die Erziehungspersonen zum größten Teil in der Hand hätten. Diese Annahme kann tatsächlich zu dem Anspruch verführen, der oft gestellt wird: die Mütter als diejenigen, die den Erziehungsprozeß weitgehend in der Hand haben, seien in der Lage, die Veränderung zu bewirken. Tun sie ihr möglichstes und gelingt die Veränderung nicht - was dann? Wo bleibt der Rest? Geht es dann wieder auf das Konto der Biologie?
Denken wir so, dann gehen wir von dem Automaten Mensch aus, der von der Erziehungsprogrammiererin Mutter mit dem entsprechenden Programm gefüttert wird und nach einigen Jahren das entsprechende Ergebnis ausspuckt. Wir unterliegen hier einem Fehlschluß, der allerdings Grundlage jeder Pädagogik ist, nämlich daß sich Verhaltensweisen durch die dazu führende Erziehung erreichen ließen. Zum einen wird dabei ganz der Gegenteileffekt übersehen. 67 Wer kennt nicht von sich selbst die Entscheidung fürs »andere«, nur weil die Eltern etwas Bestimmtes erwarten? Zum anderen ist auch tatsächlich bis jetzt noch keine direkte Kausalität zwischen Erziehungshandlung und Erziehungserfolg nachgewiesen worden. Ich möchte hier in keiner Weise bestreiten, daß Erziehung ihren großen Teil mit dazu beiträgt, bestimmte gesellschaftlich gewünschte Ergebnisse zu erzielen. Nur bin ich der Meinung, daß zusätzlich weitere, bis jetzt noch nicht genug wahrgenommene Aspekte eine entscheidende Rolle in der » Mädchenwerdung« spielen und diese Erklärung in der vorgebrachten monokausalen Beweisführung unzulänglich ist. Das Festhalten am Prinzip der Verstärkung und das Zerlegen des kindlichen gesamtheitlichen Erlebens in Minuten- oder Stundenbegebenheiten verstellen die Sicht auf die wesentlich komplexere Realität.
2. Theorie der kognitiven Sozialisation (Selbstsozialisation)
Ein anderer wichtiger Schluß zur Erfassung geschlechtsunterschiedlichen Verhaltens wird von Kohlberg vertreten. Danach ist die Geschlechtstypisierung eine natürliche Begleiterscheinung der geistigen Entwicklung und Reifung, die sich ziemlich unabhängig von bestimmten Erziehungs- und Lernerfahrungen ergibt. Die Formung sexueller Haltungen findet sich in den umfassenden Aspekten der »kognitiven Strukturierung der Umwelt des Kindes entlang den Dimensionen der Geschlechtsrolle«. 68 Die Entwicklung der Geschlechtstypisierung wird als ein Aspekt geistigen Wachstums verstanden. Der entscheidende Faktor ist das kognitive Handeln des Kindes - seine aktive Wahl und Ordnung seiner Wahrnehmungen, seines Wissens und Verständnisses. Nicht ein biologischer Instinkt, sondern des Kindes geistiges Einordnen der Begriffe von Sozialrollen in universalen physischen Dimensionen ist die Erklärung für das Vorhandensein universaler Werte bei den Geschlechtsrollen. Dieser Prozeß wird eingeleitet durch die sehr frühe Geschlechtsetikettierung des Kindes; sie beginnt, wenn es die Wörter Junge oder Mädchen hört und lernt. Im Alter von zwei oder drei Jahren kennen Kinder ihr eigenes Etikett, und in den nächsten Jahren etikettieren sie andere entsprechend den herkömmlichen Richtlinien. Das grundlegende sexuelle Selbstverständnis des Kindes (seine Selbsteinordnung als Bub oder Mädchen) wird zum zentralen Ordner und Determinanten seiner Tätigkeiten, Werte und Einstellungen. Das Mädchen gelangt zu der Feststellung: »Ich bin ein Mädchen, deshalb möchte ich tun, was Mädchen tun, deshalb bringt die Möglichkeit, Mädchensachen zu machen (und hierfür Zustimmung zu erlangen) etwas ein.« 69
Mit weiterer geistiger Entwicklung eignet sich das Kind eine Anzahl von Stereotypen maskulinen und femininen Verhaltens an. Diese Erkenntnisse werden nicht aus elterlichem Verhalten oder direkter Unterweisung abgeleitet, sondern'stam-men vielmehr aus universal verstandenen Geschlechtsunterschieden in Körperstruktur und Fähigkeiten und werden von den Kindern gleich anderen zu erlernenden Naturgesetzen begriffen.
Sind die fundamentalen Vorstellungen von der
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