Tyrannenmord
engagierte sich der Makler. »Und hier, in diesem größeren Raum«, er breitete theatralisch seine Arme aus, »schon fast ein Saal, könnte das Café untergebracht werden … und sehen Sie erst hier«, er machte einige Schritte in Richtung eines Nebengelasses, »würden sich moderne, sanitäre Einrichtungen gut machen. Also, wenn ich so jung wäre wie Sie und die Power hätte«, er ballte kurz seine Hände zu Fäusten und öffnete dann die beiden nebeneinander liegenden Türen der Räumlichkeiten, die sich in der Tat gut zu eignen schienen, da die Belüftung direkt über die Fenster erfolgen konnte.
»Selbstverständlich«, fuhr der Makler beredt fort, »könnten Sie auch die Toiletten in dem vorhandenen Keller unterbringen und hätten dadurch die Möglichkeit, die seitlichen Räume als kleine Einheit, bestehend aus Küche und Ausschank zu nutzen … aber«, der Makler bedachte jetzt Ben mit seiner Aufmerksamkeit, »das werden Sie natürlich alles selbst zu entscheiden haben.«
Nachdem das junge Paar die oberen Räume besichtigt hatte, die hinreichend Platz für ihre eigene Wohnung und die Gästezimmer bieten würden, verabschiedeten sie sich mit dem Hinweis, vorerst einmal alles sacken lassen zu wollen und dass sie sich Anfang der Woche wieder melden würden.
Der Makler nickte mit einem Tick zu aufgesetzter Liebenswürdigkeit, und während sie die Zufahrt passierten, bemerkte Nina im Rückspiegel, dass er bereits das Handy am Ohr sich eine neue Zigarette angezündet hatte und Ihnen freundlich hinterherwinkte.
»Ich finde«, meinte Nina, als sie sich mit ihrem Wagen auf der Chaussee befanden, »wir sollten die paar Kilometer zum Ostseestrand fahren und ein paar Schritte laufen, das bläst unsere Köpfe frei.«
»Gute Idee«, erwiderte Ben, »so können wir uns gleich von der Gegend ein genaueres Bild machen und schon mal checken, was sich in unserer weiteren Nachbarschaft befindet.«
Nachbarschaft?, ging es Nina zweifelnd durch den Kopf, und da es eine Eigenart von ihr war, sich in besonnener Zurückhaltung zu üben, die allerdings zuweilen etwas spröde wirken konnte, schwieg sie vorerst. Sie ahnte bereits, was von Bens Seite auf sie zukommen würde und fürchtete Unüberlegtheiten, die sie vielleicht später bereuen könnten.
In dem Versuch, Bens überbordende Begeisterung gleich in den Anfängen zu dämpfen, sagte sie daher: »Das klingt ja geradezu, als wäre die Sache mit dem Hauskauf für dich abgemacht? Bitte, Ben, nicht schon wieder, lass uns an die Sache mit Bedacht herangehen!«
»Aber Nina«, entgegnete Ben und es klang leicht eingeschnappt, »was ist denn dagegen groß einzuwenden, sich das im Voraus mal alles so vorzustellen, wie es sein könnte? Und außerdem, wann wird einem so etwas noch mal angeboten … du wirst sehen … alles wird gut!« Ben grinste in sich hinein, denn er wusste, wie allgemeingültig und platt seine letzte Bemerkung gewesen war.
Mittelpunkt des kleinen malerischen Küstenortes, den sie kurz darauf erreichten, bildeten das Restaurant ›Stranddistel‹ mit Anleger nebst Ausflugsdampfer ›Feodora‹ und einem in den letzten Jahren stark angewachsenen Yachthafen. Drumherum gruppierten sich eher zufällig angeordnet Kiosk, Fischbuden, Eisdielen und der obligatorische Andenkenladen. Neben einem geräumigen Parkplatz begann gleich der Naturstrand, an dem sich parallel zur offenen See hin, ein lang gezogener Campingplatz mit zahllosen Wohnwagenparzellen anschloss.
Nina und Ben waren des Öfteren aus dem nahen Flensburg – wo sie beide in demselben Hotel beschäftigt waren – zum Strandbummeln hergekommen. Der Ort war ihnen also nicht ganz unbekannt, doch damals war der Fokus nicht darauf gerichtet, hier einmal sesshaft zu werden. Sie begannen, diese Gegend – jeder auf seine eigene Weise – nun in einem anderen Licht zu sehen. Dass sich ihr Blick darauf später drastisch verändern würde, konnten sie natürlich nicht ahnen.
Sie hatten ihre Schuhe im Wagen liegen lassen und der oberflächlich warme, gleich in etwas tieferer Schicht kühlende, feuchte Sand, tat ihren Füßen gut. Ben erinnerte sich, wie er als Kind in den großen Ferien beim Laufen am Pelzerhakener Strand seine Zehen in den Sand gebohrt hatte und alle aufgestaute Spannung aus seinem Körper im Nu entwichen war. Er hörte wieder die grüngelbe ZeoZon-Fahne im Wind flattern und spürte den Salzgeschmack des Meeres im Mund, den er damals mit der Süße einer Tüte Studentenfutter genussvoll
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