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Über Alle Grenzen

Über Alle Grenzen

Titel: Über Alle Grenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lama Ole Nydahl
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ungewöhnlich ist. Eine Frau aus Hamburg machte Fotos, auf denen mehrere sogar die Umrisse von Karmapas Gesicht in den Strahlen erkennen.

    “Ein Regenbogen!”

    Ein riesiger Adler flog währenddessen am klaren Himmel. Er drehte zwölf große Runden und zog dann Richtung Südwesten. Dies gefiel den Westlern sehr, passte aber nicht zu den Vorstellungen der Tibeter, bei denen der Geier der edelste Vogel ist. In der nächsten Ausgabe der Rumtek-Zeitung wurde das Geschehen deswegen so beschrieben: “Ein Geier, der wie ein Adler aussah, drehte die ganze Zeit Kreise über dem Feuer.” Einige Belehrungen sagen, dass Geier Bodhisattvas sind, und es ist wenigstens gefühlsmäßig klug, Gutes über diejenigen zu denken, die wohl am Ende den eigenen Körper verzehren werden. Weise Katholiken sollten Würmern gegenüber eine ähnliche Einstellung entwickeln.

    Die Verbrennungs-Stupa

    Viele Geschehnisse wurden in einem Film von dem Engländer Marc Elliot festgehalten, der später im Auftrag Dharmadhatus die hellen Köpfe meiner Schüler in Kleinstarbeit herausschneiden musste.

    Die Stupa wurde versiegelt, und ein paar Tage später konnte man Situpas Raum betreten, in dem zur allgemeinen Verwunderung Karmapas Herz aufbewahrt wurde. Er wollte es sogar in den westlichen Himalaya mitnehmen. Das passte dem Generalsekretär nicht, und er holte das Herz gegen Tai Situpas Willen zurück. Er stellte es in Karmapas Reliquienraum, wo es jetzt durch eine Stupa geschützt allen zugänglich ist. Damals nahm man das Energiefeld auf, indem man mit dem Scheitel die Mitte des Regals berührte. Der meterweite Abstand machte keinen Unterschied, es war unglaublich stark.
    Hannah fand eine Stelle zum Meditieren und war für Stunden verschwunden. Ich selbst wollte für ein einziges Mal in meinem Leben alleine sein. Doch da ich “öffentlicher Besitz” bin, war dies unmöglich. Wie betäubt taumelte ich an den Freunden vorbei, die alle etwas fragen wollten, und antwortete “Ja” und “Nein” in jede Richtung, sicher oft an den verkehrten Stellen. Erst zwischen einigen Lastwagen konnte ich alleine sein, und da floss das Wasser aus meinen Augen wie nie zuvor. Am härtesten traf mich, dass Karmapa jetzt so klein war. Hier verstand ich die Tiefe unseres ersten Lamas, Lopön Tsechu, der seit seiner Ankunft in Rumtek ständig nasse Augen hatte. Er wusste wirklich, was ein Karmapa ist. Als wir im Frühling 1970 bei ihm in Nepal geblieben waren, hatte Karmapa bei seinem Abschied gesagt: “Wenn ich Buddha bin, ist er Ananda” (sein liebster Schüler).

    “Wenn ich Buddha bin, ist er Ananda.” v.l.n.r. der König von Nepal, Karmapa und Lopön Tsechu

    Während dieser Tage der größten Empfindsamkeit beging unsere Linie einen politischen Fehler, der uns einige Jahre verfolgen sollte. Zu einer allgemeinen Kagyüpa-Begegnung wurden nur Karma-Kagyü-Lehrer als Redner vor der oft sehr betuchten Zuhörerschaft eingeladen. Dieser Formfehler war sicher der Trauer um Karmapa zuzuschreiben, aber den Vertretern der anderen Schulen gegenüber blieb es schlechter Stil. Sonst war es wie bei einem Familientreffen. Jeder lobte seine eigene Arbeitsweise als richtungsweisend für die Zukunft, Kalu Rinpoche beispielsweise pries seine Mönchszurückziehungen. Mein wichtigstes Anliegen war die 16. Karmapa-Meditation. Durch sie konnte Karmapas Segen überall empfangen und gehalten werden. Ich sagte, dass sie einen ständigen Zugang zu seiner zeitlosen Essenz bringe, egal, ob diese gerade einem Körper innewohne oder nicht. Jetzt sei es an der Zeit, hart und selbständig zu arbeiten, damit wir dem künftigen Karmapa eine größere und reifere Sache in die Hände legen könnten. Dies ist auch tatsächlich an den Stellen geschehen, wo man diese Karmapa-Meditation anbietet und die Bände hält. Die Gruppen, die dagegen steif wurden, Gerüchte säten oder glaubten, klüger zu sein als ihre Lehrer, verschwanden während der folgenden Jahre oder blieben als leere Hüllen zurück. Sie waren sowieso mehr durch ihre Abneigungen als durch Wärme und Freude gezeichnet. Jährlich wächst mein Mitgefühl für die armen Lehrer, die stolze Schüler um sich scharen.

    Am 27. Dezember 1981 wurde die versiegelte Stupa geöffnet. Sie war voller Reliquien. Erst holte man die großen und besonderen Teile heraus, die überhaupt nicht verbrannt waren: seine Augen und die Zunge. Sie enthalten die Energie seines Körpers und seiner Rede, während das Herz die Kraft seines Geistes trägt. Man

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