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Über Alle Grenzen

Über Alle Grenzen

Titel: Über Alle Grenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lama Ole Nydahl
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einzigen, die Karmapa zu seinem Tod nach Sikkim eingeladen hatte. Abgesehen von unserer Gruppe waren keine anderen Weißen in Rumtek. Da wir seine ersten westlichen Schüler waren, wurde ich gebeten, den Sarg mit ins Kloster zu tragen.

    Jamgön Kongtrul Rinpoche bei den Pujas

    Im Innenhof blieben wir für einige Minuten stehen, damit ein paar hundert Gurkha-Soldaten etwas unpassend Trompete blasen und in die Luft schießen konnten. Danach trugen wir Karmapa ins Gebäude, wo er im Haupttempel abgesetzt wurde. Erst jetzt war es möglich - Schritt für Schritt und aus mehreren Quellen - seine letzten Tage zu verstehen. Sie waren eines Buddhas würdig.
    Als sich die Zeit seines Todes näherte, hatte er sechs bis sieben ernste Krankheiten auf sich gezogen. Er hatte seinen Körper verwandt, um sie umzuformen und dadurch - zumindest für die Menschen in seinem Kraftkreis - viel von ihrer Schädlichkeit entfernt. Bei Chicago, in der Nähe der größten Schlachthäuser der Welt, zeigte er sein zeitloses Beispiel für nicht unterscheidende Liebe. Er hatte den Ärzten erlaubt, ihre Arzneien an ihm zu erproben. Darunter waren auch Schlafmittel in riesigen Dosen, die überhaupt keine Wirkung bei ihm zeigten. Die ganze Zeit über dachte er an andere. Er kümmerte sich darum, dass es ihnen gut ging, und redete gar nicht von sich selbst.

    Das letzte Geleit

    Am Abend des 5. November 1981, dem Tag der Befreierin, stellten die Ärzte mit Erstaunen fest, dass die Maschinen, an die er angeschlossen war, nicht mehr in Betrieb waren; sie hatten sich von selbst ausgeschaltet. Alle dachten das gleiche: “Er spielt uns einen Streich”, und in diesem Augenblick fingen sie wieder zu arbeiten an. Nach fünf Minuten hörten sie endgültig auf. Am nächsten Morgen, als die Krankenpfleger seinen Körper aus dem Bett entfernen wollten, fragten die anwesenden Lamas, ob denn auch wirklich alle Todeszeichen eingetreten seien. Das waren sie nicht: Karmapas Körper war noch immer warm; vor allem sein Herzzentrum war so heiß, dass man es ein gutes Stück vom Körper entfernt spüren konnte. So verbrachte er vier Tage in Meditation im Bett. Als er in Sikkim ankam, war er immer noch warm und ohne Anzeichen von Todesstarre. Ich weiß das, weil ich beim Abschied lange meine Stirn gegen sein Bein drückte.

    Karmapas Körper wurde oben im kleinen Saal in ein Mandala gesetzt, damit alle sein Kraftfeld aufnehmen konnten. Er war von Butterlampen umgeben, und man machte Pujas rund um die Uhr, während die Besucher kamen und gingen. Die nächsten Wochen würde nichts Neues geschehen, und da außerdem unsere Visa abgelaufen waren, nahmen Hannah und ich die Gruppe mit nach Nepal. Dort wollten wir den Segen von Lopön Tsechu entgegennehmen, und Ayang Tulku war bereit, einen Kurs über das Bewusste Sterben zu geben.

    Karmapas Mandala

    Für die Verbrennung Karmapas, die etwa anderthalb Monate später stattfinden sollte, waren die Inder einmal großzügig und öffneten die Grenzen nach Sikkim. Mit einigen Taiwanesen, die wir nach Indien geschmuggelt hatten, kamen wir am 17. Dezember wieder in Rumtek an. Diesmal waren wir nicht die einzigen Weißen. Hunderte unserer Freunde und zu unserer Überraschung auch viele Amerikaner von der Westküste - meist ältere Leute - waren erschienen. Das Militär hatte Zelte mit Feldbetten und Wolldecken bereitgestellt. Jeder Augenblick wurde voll genutzt. Hannah übersetzte für die Linienhalter. Es tat gut, so vielen von der Größe Karmapas, die wir über die Jahre erlebt hatten, zu erzählen. Er hatte oft gesagt, dass seine 17. Wiedergeburt noch besser werden würde als die jetzige, und unsere Antwort war immer gewesen: “Wenn er so gut wird wie du, genügt uns das.”

    In einem stillen Augenblick zog mich Barbara Pettee zur Seite und fragte: “Hast du das Papier gesehen, das der Generalsekretär die Vertreter einiger Zentren unterschreiben lässt?” Das hatte ich nicht. Es war eine bemerkenswerte Geschichte, die da Form annahm, bis wir in sein Büro gingen und ihn zur Rede stellten. Während unserer Zeit in Kathmandu war Trungpa Tulku mit einigen seiner Schüler angekommen. Sie hatten als Erstes dem Generalsekretär, der kein Englisch verstand, 10.000 Dollar in bar geschenkt und ihn dann unterschreiben lassen, dass Boulder und nicht Rumtek bis zur Auffindung des neuen Karmapas das Kagyü-Hauptquartier sein solle. Zuletzt hatten sie die Unterschriften der vier Linienhalter ausgeschnitten und darunter geklebt. Das war

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