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Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman

Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman

Titel: Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Seidel
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er an Feen geglaubt hat oder nicht. Aber selbst wenn, wieso sollte das heißen, dass er verrückt war?« Sie zwinkert mir zu und versucht aus meiner großen Entdeckung einen kleinen Scherz zu machen.
    »Genau, wir glauben hier schließlich alle an Feen, das wirst du auch noch, warte es ab«, dröhnt Sir Henry dazwischen. Und alle lachen erleichtert auf. Ich lache nicht mit. Erstens werde ich niemals an so einen Blödsinn glauben. Zweitens war ich eben für eine Sekunde auf einer echt heißen Spur. Warum ist Violet so zusammengezuckt, als ich Zuckermann erwähnt habe? Könnte sie die Frau sein, die ich suche? Ich kann mir gut vorstellen, dass sie in ihrer Jugend als feengleiches Wesen in duftigen Kleidern über die Wiesen schwebte. Hat sie ihren Mann betrogen? Wusste
Moira davon? Oder war Violet zu der Zeit noch gar nicht mit Sir Henry verheiratet? Lauter Fragen, die ich leider nicht hier und sofort stellen kann, ohne extrem unhöflich zu wirken. Aber in so einem winzigen Dorf wird doch wohl irgendjemand Bescheid wissen. Ganz sicher! Zufrieden lehne ich mich zurück und nippe noch mal an dem köstlichen Tee. Da trifft mein Blick Moiras, die mich prüfend anschaut. Dann grinst sie wieder, zündet sich eine ihrer Selbstgedrehten an und lehnt sich ebenfalls lässig zurück. Natürlich gelingt es Moira, ganz nebenbei ein paar astreine, kreisrunde Rauchringe auszustoßen. Das habe ich jahrelang probiert – ohne Erfolg. Als Sir Henry ein paar Weinflaschen bringt, wird die Stimmung so ausgelassen, dass ich mich wider Willen mitreißen lasse. Die Herrenhausbewohner haben alle einen Knall, aber ich finde sie großartig, und mit der Zeit fühle ich mich unter ihnen auch nicht mehr so unbeholfen. Ich vergesse kurz meinen Auftrag und albere mit den anderen herum. Das Ganze endet damit, dass wir zu altmodischer Musik tanzen, die tatsächlich noch vom Plattenspieler kommt. Sir Henry hat sich Violet geschnappt. Mein Vater tanzt mit Teresa, was mich – angeheitert wie ich bin – nicht mehr ganz so umhaut, wie es das noch vor einer Stunde getan hätte. Und zumindest alkoholisiert kann ich mit Moira so frei plaudern, wie ich es sonst nur mit Juli, Toni und Tanja täte. Nachdem wir alle wichtigen Themen wie die aktuelle Mode und klimatische Unterschiede zwischen Deutschland und Irland abgehandelt haben und sie auch ansatzweise von meiner Martin-Tragödie unterrichtet ist, entdecke ich ein Foto auf dem Kamin. Ich gehe hin, um es näher zu betrachten. Es zeigt vier wunderschöne Gesichter, wie es sie nur auf alten Bildern und in alten Filmen
zu geben scheint. Die drei Frauen tragen alle den gewellten Bob, den Violet heute noch trägt, und lange, fließende Abendkleider. Sie stehen Arm in Arm aufgereiht, den Oberkörper leicht nach vorne gebeugt. Triumphierend lachen sie in die Kamera, als hätten sie gerade die ganze Welt erobert. Der Mann ist eindeutig Sir Henry. Die Kleidung passt zu ihnen, muss aber schon in der Zeit unmodern gewesen sein, als das Foto aufgenommen wurde. Es erinnert eher an ein Bild aus den 30er Jahren als an eines aus den 60ern.
    »Bist du das?«, frage ich Moira und deute auf ein Mädchen, das so hübsch und lebendig mit einem Auge in die Kamera zwinkert, dass es sich vor männlichen Verehrern sicher kaum retten konnte.
    »Ja«, sagt sie, »Gott, ist das lange her. Das war noch vor meiner Heirat. Und das ist nun aus uns geworden.« Sie blickt etwas melancholisch in die Runde, bevor sie mir schnell wieder lächelnd zuzwinkert.
    Inzwischen bin ich richtig betrunken. Ich schaue zu Sir Henry und Lady Violet und sehe in ihnen plötzlich die jungen Menschen von damals. Und ich bin mir sicher, dass sie alle im Grunde noch dieselben sind.
    »Ach, Alter ist doch nur eine Zahl«, sage ich und bin in diesem Moment ernsthaft davon überzeugt. Moira lacht laut und wirbelt mich auf dem Weg zurück zum Sofa ein wenig herum. Als wir sitzen, hoffe ich, mit meiner nächsten Frage nicht wieder in ein Fettnäpfchen zu treten. Aber ich bin neugierig. »Wer war denn das dritte Mädchen auf dem Bild?«
    »Unsere Schwester Helen.«
    »Werde ich die auch noch kennenlernen?«, frage ich begeistert.
Ich bin ernsthaft dabei, mich in diese verrückte Familie zu verlieben.
    »Leider nein«, sagt Moira und schaut auf einmal wieder ganz melancholisch. »Sie und ihr Mann sind vor etwas über zwanzig Jahren bei einem Autounfall gestorben. Und bevor du nachfragst: Mein Mann ist fünf Jahre danach gestorben. Er war ein ganzes Stück älter als

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