Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Titel: Ueber den Horizont hinaus - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Lenz
Vom Netzwerk:
fort, sorgsam genug hatte er diesen Ort recherchiert. Die Wahrscheinlichkeit erkannt zu werden, bestand beinahe bei Null.
    Und so zögerte OIaf nicht mehr, als er eintrat.
    Die Musik, die Einrichtung, die Lichter – all das verschwamm vor seinem Augen.
    Er bestellte und stürzte einen Wodka herunter und dann noch einen, hielt den Blick auf die Theke gesenkt, wartete.
    Und er wartete nicht vergebens.
    Hin und wieder setzte sich jemand neben ihn, manches Mal stumm, manches Mal mit einer Entschuldigung, einer Bemerkung auf den Lippen.
    Olaf war sich durchaus dessen bewusst, dass es sich bei ihm um eine attraktive Erscheinung handelte. Er hatte nie Schwierigkeiten gehabt, Bekanntschaften zu machen, Frauen niemals bitten müssen.
    Sie waren zu ihm gekommen, angezogen von seiner Haltung, seiner Kleidung oder aufgrund seiner Stellung und Herkunft oder der Uniform.

Er hatte immer gewusst, dass es nicht um ihn gegangen war, nicht um den Menschen, der er war, nicht um seine Persönlichkeit.
    Äußerlichkeiten waren es stets, die ihm den Weg geebnet hatten.
    Äußerlichkeiten, auf die er sich verlassen konnte, auf die er sich auch jetzt verließ.
    Doch zumeist reichte ein kurzer Blick, der erste Eindruck, um das noch nicht einmal ausgesprochene Angebot im Keim zu ersticken.
    Die Männer waren zu elegant, zu breit gebaut, zu alt oder trugen die falsche Haarfarbe.
    Und Olaf wusste was er wollte, er wusste exakt, was er wollte, wen er wollte und doch niemals haben konnte.
    Der dritte Wodka, dessen Wirkung Olaf nicht einmal annähernd spürte, reichte aus.
    Der Mann, der sich ihm näherte, als Olaf zum ersten Mal aufsah, ohne nur zu ahnen, was ihn dazu bewogen hatte, bewegte sich auf diese unnachahmliche Art, eine Art schlafwandlerischer Langsamkeit, von der Olaf bislang noch nie erkannt hatte, dass sie auch Christians Gang charakterisierte.
    Kaum älter als 21Jahre erscheinend stimmte bei dem Fremden alles, von der Größe, bis zur Haarfarbe, sogar die Frisur.
    Er begegnete Olafs Blick und lächelte, nicht schief genug, um Christian zu ähneln, auch die Augen glichen nicht denen des Bruders. Zudem wirkte er sonnengebräunt. Doch die Bewegung, mit der er sein Haar zurückwarf, erinnerte Olaf so sehr an Christian, dass ihn ein wohliger Schauer durchrieselte.
    ‚Verboten‘, dachte er, aber aus irgendeinem verworrenen Grund erhöhte dieser Gedanke seine Aufregung, ließ sein Herz schneller schlagen, als der Mann sich neben ihn setzte.
    „Hi“, sagte der Fremde. Seine Stimme klang zu dunkel und zu rau, aber vielleicht konnte Olaf es vortäuschen, sich einbilden, dass ihr Klang eine andere Tönung enthielt.
    Olaf trank einen Schlug, bevor er antwortete. „Hi“, sagte er kurz und schlug verlegen die Augen nieder.
    Der andere betrachtete ihn aufmerksam. „Du bist zum ersten Mal hier, oder?“
    Olaf nickte nur.
    Der Fremde lächelte. „Ich bin Tom“, sagte er dann. „Aber Namen sind hier nicht wichtig.“
    Olaf fühlte, dass er ihn von oben bis unten musterte.
    „Ich sehe schon“, fuhr Tom fort. „Du hast dich noch nicht geoutet, und wenn doch, dann nicht lange.“
    „Nein, das habe ich nicht“, antwortete Olaf und es klang heiserer, als er es beabsichtigt hatte.
    „Das ist okay für mich“, sagte Tom. „Ich suche nichts Festes, noch nicht. Es geht mir nur darum, etwas zu erleben.“
    Olaf räusperte sich und senkte seine Stimme. „Mag sein, dass ich dann nicht der Richtige bin.“ Er zögerte peinlich berührt. „Ich… ich hab noch nie…“
    Olaf fühlte das breite Grinsen des anderen mehr, als dass er es sah.
    „Wie nett“, sagte Tom. „Noch so tief im Schrank. Da werde ich doch mal sehen, was sich machen lässt.“
    Er legte seine Hand auf die Olafs, und dieser erschauerte.
    ‚Christians Hand‘, dachte er und tatsächlich wirkten die Finger des Fremden im gedämpften Licht der Bar beinahe wie die seines Bruders, lang und schlank.
    Tom beugte sich zu ihm und flüsterte in sein Ohr.
    „Du bist wirklich süß.“ Er lehnte sich zurück und sah Olaf an. Eine Haarsträhne fiel ihm ins Gesicht und Olaf konnte sich vorstellen, vorgeben, dass er ein anderer sei.
    „Du… du siehst auch gut aus“, versuchte er sich unbeholfen, als sich das Lächeln des anderen verbreiterte.
    „Und vermutlich erinnere ich dich an jemanden, liege ich damit richtig?“
    Olaf war dankbar, dass die Dunkelheit in der Bar sein Erröten kaschierte, und doch konnte er an dem Zucken in Toms Mundwinkeln erkennen, dass dieser es durchaus

Weitere Kostenlose Bücher