Ueber den Horizont hinaus - Band 1
schief und spitzte die Lippen, bevor sie antwortete.
„Nun – wir nehmen Christian mit und entscheiden dann in aller Ruhe und in gewohnter Umgebung, was mit ihm werden soll.“
„Ich bin auch noch hier“, brachte Christian sich in Erinnerung. „Redet nicht über mich, als wäre ich nicht da.“ Er schob seine Unterlippe vor, sein Gesichtsausdruck wieder der eines beleidigten Teenagers.
Den zuvor erkennbaren Schrecken hatte er erfolgreich aus seinem Erscheinungsbild verbannt.
Beinahe wäre Olaf ein Lächeln herausgerutscht. Chris war mit Sicherheit erheblich robuster, als man es ihm zutraute.
Und doch flackerte sein Blick, als er fortfuhr. „Ich… könnte hier bleiben. Olaf hat sicher nichts dagegen.“ Er sah rasch zur Seite, als fürchte er die Ablehnung in dem Gesicht seines Bruders zu erkennen.
Dieser nickte. „Hätte ich nicht und auch Carola…“
Bevor er den Satz beenden konnte, fiel seine Mutter ihm ins Wort. Ihre Stimme klang beinahe schrill, als sie sich an ihn wandte. „Das kommt gar nicht in Frage“, sagte sie lauter als notwendig war, um verstanden zu werden.
„Der Junge kommt zurück zu uns. Er macht seinen Abschluss und dann… sehen wir weiter.“
„Mama!“ Olaf sah ihr ins Gesicht. „Ich denke, dass ich bei dieser Frage auch beteiligt sein sollte.“
Hannibal schüttelte ärgerlich den Kopf, sagte jedoch nichts.
„Hier in der Stadt ständen Christian mehr Möglichkeiten offen, als wenn er bei euch bliebe. Nach seinem Abschluss sollte er wählen können, sich selbstständig machen, eigene Entscheidungen treffen.“
„Du warst immer sehr zufrieden“, bemerkte seine Mutter.
„Ich war immer sehr diszipliniert“, entgegnete Olaf. „Ich kam damit zurecht, aber Christian braucht etwas Anderes.“
„Ich bin immer noch hier“, meldete sich eine schmale Stimme aus dem Hintergrund und Olaf konnte nicht anders, als Christians Penetranz als amüsant zu bewerten, und zudem als couragiert.
Er wusste genau, dass er in seinem Alter es niemals hätte zu Widerworten gegenüber seinen Eltern kommen lassen, so sehr sie ihm vielleicht auch auf der Zunge brannten.
Ebenso wenig, wie er sich in ein laufendes Gespräch eingemischt hätte, ob es nun um ihn gegangen wäre oder um etwas Anderes.
Christian war mutig – auf seine eigene, selbstzerstörerische Weise – aber er war mutig und Olaf zeugte ihm dafür Bewunderung.
„Nun!“ Hannibal riss die Aufmerksamkeit an sich, wandte sich dann an Christian. „Du holst auf jeden Fall jetzt deine Sachen und wenn du alles beisammen hast, dann fahren wir. Es wurde bereits genug Zeit vergeudet. Und was dich angeht…“
Er wandte sich an Olaf, wartete jedoch bis Christian den Gang hinunter verschwunden war.
Dann rollte er mit den Augen, nickte schließlich, als habe er eine Entscheidung getroffen.
„Wir hatten diese Diskussion schon, und wie ich feststellen musste ohne Erfolg. Dein Bruder macht seinen Abschluss. Wenn das geschehen ist, wird er wissen müssen, was zu tun ist.“
Seine Augen richteten sich auf Olaf und er musterte diesen von oben bis unten.
„Es scheint, dass du dich deiner Bruderpflichten entsinnst, also wirst du mit ihm telefonieren und ihm bei der Entscheidung beistehen. Falls diese nicht zu unserer Zufriedenheit ausfällt, sehen wir uns wieder.“
„Einverstanden.“
Olaf streckte seine Hand aus, als tätige er einen Geschäftsabschluss.
Hannibal ergriff diese und drückte sie kurz und emotionslos.
Christian kam gerade rechtzeitig zurück, um die Geste zu bemerken.
„Was ist hier los?“ Seine Augen flogen von einem zum anderen, blieben schließlich bei Helena hängen.
„Nichts“, antwortete diese und ergriff Christians Arm. „Wir gehen nach Hause.“
„Olaf?“ Christian sah den großen Bruder hilfesuchend an.
Dieser nickte beinahe unmerklich. „Es ist in Ordnung“, murmelte er und hoffte, dass niemand merkte, wie sehr seine Stimme an Substanz verlor.
„Ruf mich an, wenn du angekommen bist und erzähle mir alles – wirklich alles.“
Olafs Blick schweifte zu Hannibal, der nur den Kopf schüttelte.
„Okay – mach ich.“ Auch Christians Stimme krächzte, erinnerte Olaf an die längst vergangene Zeit seines Stimmbruchs und diese Erinnerung zauberte doch ein Lächeln auf seine Lippen.
„Das wird schon, kleiner Bruder“, sagte er und folgte dem Jüngeren ein paar Schritte, bis dieser stehen blieb und sich umdrehte, seine Augen sich in Olafs Seele bohrten.
„Es tut mir leid“, sagte Christian
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