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Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Titel: Ueber den Horizont hinaus - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Lenz
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und Olaf wusste nicht, wofür er sich entschuldigte, als er diese Worte sprach. Er konnte nicht antworten und sah Christian nur nach, als er aus seinem Leben wieder verschwand – genauso rasch und unerwartet, wie er darin aufgetaucht war.
    Auch als die drei längst aus seinem Blickfeld verschwunden waren, starrte er noch in die leere Halle, bevor
    Olaf sich zusammen riss und die Tür zu seiner Wohnung schloss.
    Mit einem Mal müde geworden lehnte er sich gegen diese, fragte sich immer noch, wofür sein Bruder sich entschuldigt hatte.
    Und doch, wollte er es im Grunde nicht wissen, war es gut, so wie es war.
    Olafs Blut kochte immer noch als Nachhall der Gefühle, die ihn während der Auseinandersetzung mit Hannibal durchdrungen hatten.
    ‚Ich würde alles für Christian tun‘, dachte er bei sich. ‚Alles, was nötig ist.“
    Langsam löste er sich von der Tür, kehrte zurück zu der Couch, auf der er noch nicht allzu lange zuvor mit seinem Bruder gesessen hatte.
    Und mit einem Mal bemerkte er den Verlust der Wärme, die dieser Raum noch zuvor geatmet hatte.
    Kälte kroch hinein, Kälte, die in Olafs Glieder kroch, dafür sorgte, dass er sich müde und allein fühlte.
In weitaus größerem Maße allein, als er es zuvor empfunden hatte.
    Olaf sank auf das Sofa, rutschte dann herüber auf den Platz, den Christian zuvor eingenommen hatte, als könnte er zumindest den oberflächlichen Anschein seiner Anwesenheit behalten.
    Doch es funktionierte nicht. Im Gegenteil – es verschlimmerte den Verlust.
    Olaf stützte den Kopf in die Hände. Er glaubte das Klappen der Wagentüren einer Limousine zu hören, das leise Brummen des anfahrenden Motors und er sah das Gefährt vor sich, wie es Christian forttrug.
    Christian. Christian, der sich an ihn geschmiegt hatte, der seine sanften, feuchten Lippen gegen Olafs Haut gepresst hatte. Christian, der gesagt hatte, dass er ihn liebte, dass er mit ihm zusammen sein wollte.
    Olaf erschauerte. Das Kribbeln erfasste seinen Unterleib, erweckte sein Glied zum Leben.
    ‚Krank – das ist krank‘ flüsterte es in seinem Geist. ‚Du bist krank – verkorkst – verflucht.‘
    Olaf sprang auf. Er musste hier raus, musste heraus aus der Wohnung.
    Er hastete zur Garderobe, schnappte sich Schlüssel und Mantel und verließ fluchtartig die Wohnung.
    Der Nachhall der zuknallenden Tür verfolgte ihn noch auf seinem Weg hinaus, zu seinem Auto.
    Er fuhr los, ohne zu wissen, wohin es ihn zog und doch ein Ziel vor Augen, an das er jedoch nicht offen zu denken wagte.
    *
    Erst als er dort angekommen war, gestand Olaf sich ein, dass es sich um keinen Zufall handelte.
    Er kannte den Ort, kannte das leicht zurückgesetzte, nicht allzu auffällige Gebäude am Ende der verzweigten Nebenstraße.
    Unzählige Male war er dort bereits vorbeigefahren, unzählige Male hatte er die Besucher beobachtet, die sich vor der Bar trafen.
    Junge Männer zumeist, die dort gegen ihre Kühlerhauben lehnten. Junge Männer, die kaum erwachsen, Kleidung trugen, die ihn an Christian erinnerte.
    Hin und wieder war einer dabei, der Olafs Herz zum Stillstand brachte, wenn auch nur einen Moment, bevor er erkannte, dass es sich nicht um seinen Bruder handelte, dass die Haarfarbe nicht stimmte oder die Körperhaltung.
    Und doch sah er nirgendwo so viele Männer, die ihm ähnelten, die ihr Haar trugen, wie er es tat, die sich schlaksig und ungelenk über den Parkplatz bewegten, zu jung aussahen, um bereits Auto zu fahren und doch wahrscheinlich schon weit über Zwanzig waren.
    Hin und wieder stoppte ein größerer Wagen vor dem Haus, entstieg diesem ein zumeist distinguiert aussehender Mann, ein wohlhabender Herr im Anzug, Vertreter der Geschäftswelt, der auch Olaf angehörte.
Meist machten diese Männer sich nicht einmal die Mühe, ihre Eheringe abzustreifen.
    Sie traten ein, verließen das Haus manchmal alleine, manchmal in Begleitung.
    Olaf umklammerte das Steuer, bis seine Knöchel weiß wurden.
    Eine Gruppe junger Männer tauschte untereinander Zigaretten aus, vielleicht auch andere Substanzen. Andere schlenderten vorbei, blieben einen Moment nachdenklich vor dem Eingang stehen und gingen dann achselzuckend weiter.
    Olaf löste mühsam den Griff um das Steuer, fühlte, wie das Blut in seine Finger zurückkehrte. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn und er wischte ihn mit einer Hand ab, bevor er einen längst getroffenen Entschluss fasste.
    Er stieg aus, schloss seinen Wagen ab und steuerte das Lokal an. Weit genug war er

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