Ueber den Horizont hinaus - Band 1
durch den Raum, knipste lediglich das kleine Oberlicht an der Seite an, gegen deren Wand sein Bett gelehnt war. Er zog den klapprigen Tisch, der die Ecke des Zimmers ausfüllte und für gewöhnlich am ehesten von den wenigen Briefe-Schreibern oder lesefreudigen Camp-Bewohnern besetzt wurde, hervor. Nun war der leer und Ian setzte mit elegantem Schwung seine Tasse und die Kanne darauf ab. Er lächelte als Marvin beinahe zaghaft näher kam, streckte langsam die Hand aus und nahm ihm die Tasse ab, um sie neben seine zu stellen.
Er winkte einladend in Richtung seines Bettes und ließ sich gleichzeitig mit Schwung selbst darauf nieder. Er beugte sich hintenüber, so dass sich seine lange Gestalt zusätzlich dehnte und griff mit geübter Hand unter das Nachbarbett. Als er wieder hoch kam, umklammerten seine Finger eine viereckige Flasche mit einer golden schimmernden Flüssigkeit.
„Hier.“ Lächelnd hielt er sie Marvin entgegen. „Was sagst du?“
Marvin erwiderte das Lächeln und legte den Kopf schief, eine eingehende Prüfung vortäuschend. „Nicht übel. Wo hast du die her?“
Ian zuckte mit den Schultern. „Verdient“, antwortete er. „Ich trinke nur normalerweise nicht.“
Marvin nahm ihm die Flasche ab und hielt sie schräg gegen das Licht, so dass ihr Inhalt mild glänzte.
„Wie kommt es, dass du sie hast bewahren können?“ Marvin stellte sich nur für einen Augenblick vor, wie seine Schlafgenossen reagieren würden, bekämen sie Wind von einer seltenen Kostbarkeit wie dieser.
Ian sah ihn prüfend an. Beinahe schien es Marvin, als könne der die Bilder in seinem Kopf empfangen. Doch dann wandte der Dunkelhaarige den Blick ab. Sein Lächeln verbreiterte sich.
„Es würde sich keiner getrauen, mir etwas weg zu nehmen“, stellte er fest. Marvin stellte die Flasche ab und sah Ian entwaffnend an.
„Das kann ich mir vorstellen“, sagte er schließlich. Wenn er ehrlich war, dann konnte er es sich sogar besser vorstellen, als er vermutet hätte. Auch wenn Ian kein Riese war, weder besonders groß, noch ein Muskelprotz, so bewiesen seine stets aufrechte Haltung und schlanke Gestalt, dass sein Körper durchtrainiert und gestählt eine Ahnung davon erlaubte, wie sich die Auseinandersetzung mit ihm anfühlen würde. Zudem hatte Marvin Ian mehr als einmal beim Sport beobachtet. Hatte ihn sogar genau genug beobachtet, um von dem Spiel der Muskeln unter dem leichten Baumwollshirt so abgelenkt zu werden, dass er seinen eigenen Einsatz wiederholt verpasste.
Es war ein Vergnügen, Ian zuzusehen. Sein Gang besaß etwas zugleich Federndes und doch auch Festes.
Er drehte sich mit einer Eleganz, die Ihresgleichen suchte. Sein Sprung gewann von Mal zu Mal an Höhe. Die Sicherheit, mit der er den Ball fing und führte, vermittelte ausgeklügelte Präzision. Selbst wenn der Stoff schweißnass an seinem Oberkörper klebte, die Haare, die immer einen Tick zu lang waren für den Ort an dem sie sich befanden, doch die niemand sich getraute, ihm abzuschneiden, um sein Gesicht flogen, um schließlich daran kleben zu bleiben, erschien er Marvin immer noch als der erstrebenswerteste Mann in seinem Universum.
Nicht, dass Marvin dies etwa zugäbe. Zumindest nicht vor jemand anderem, als vor sich selbst. Seine Besorgnis, dass manch einem die Faszination nicht unbemerkt bliebe, mit der er Ian begegnete, war nicht unbegründet. So ziemlich jeder, der näher mit ihm zu tun hatte, wusste wie Marvin tickte.
Ian dagegen blieb ein Geheimnis. Hauptsächlich existierten Gerüchte, doch wenn es um konkrete Informationen ging, zeigten sich die Befragten, so bewandert sie auch sonst sein mochten, ratlos. Ian blieb ein Mysterium, in jeder Hinsicht. Sogar in der, die seine Sexualität betraf.
Doch die Frage existierte. Und je länger Marvin in Ians Nähe blieb, desto drängender wurde sie, wenigstens für ihn.
Ian hatte sich wieder aufgerichtet und begann am Verschluss der Flasche zu nesteln.
„Willst du stehen bleiben?“, fragte er belustigt und Marvin reagierte sofort. Peinlich berührt ob seiner Langsamkeit ließ er sich rasch neben den anderen sinken.
„Nein, bestimmt nicht“, beeilte er sich zu versichern und atmete genießerisch den Duft ein, welcher der geöffneten Flasche entströmte. „Guter Stoff“, meinte er anerkennend. „Was hast du dafür getan?“
Ian schenkte mit Schwung in beide Tassen eine beachtliche Portion des Getränks. „Das willst du nicht wissen“, erwiderte er. Als Marvin sich zu ihm drehte,
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